Alle gegen alle und jeder für sich. Die Grenzen der gerne propagierten solidarischen Volksgemeinschaft sind scheinbar recht eng bei der NPD: Hinter den Kulissen zeichnet sich ein erbitterter Kampf um die zukünftige Führerschaft in der Partei ab. Auslöser ist ein Gerichtsverfahren, das aller Voraussicht nach am 12. September vor dem Münsteraner Landgericht gegen Erwin Kemna, den ehemaligen NPD-Schatzmeister, eröffnet werden wird. Mehr als 800.000 Euro soll Kemna zwischen 2004 und 2007 aus dem Parteivermögen auf seine Privatkonten abgezweigt haben, um sein privates Küchenstudio finanziell über Wasser zu halten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem gelernten Kaufmann gewerbsmäßige Veruntreuung in insgesamt 86 Fällen vor. Sollte Kemna, dem bis zu sechs Jahre Haft drohen, tatsächlich verurteilt werden, dürfte es auch für Parteichef Udo Voigt eng werden.
Noch im Mai bezeichnete Voigt den mittlerweile geschassten Schatzmeister auf dem NDP-Parteitag in Bamberg als "guten Kamerad". Seinem "Finanzgeschick" sei es zu verdanken gewesen, dass die Wahlkämpfe in Sachsen (2004) und Mecklenburg-Vorpommern (2006), bei denen die NPD jeweils in die Länderparlamente einzog, so "erfolgreich" verlaufen seien. Für Kenner der Partei ist offensichtlich, warum Voigt sich schützend vor Kemna stellt: Angeblich hat er dem seit 1996 tätigen Schatzmeister immer freie Hand gelassen und eine Überprüfung durch den Parteivorstand nach Kräften verhindert. Grund genug für weitere prominente Rechtsextremisten, im Falle einer Verurteilung Kemnas nach Möglichkeit auch Voigt aus dem Amt zu drängen.
Pastörs geht in Stellung
Udo Pastörs ist einer dieser ambitionierten Möchtegern-Führer. Für eine persönliche Stellungnahme war der Fraktionsvorsitzende der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern nicht verfügbar, sein Pressesprecher Andreas Molau ließ jedoch ausrichten, dass Parteichef Voigt für eventuelle Verfehlungen des ehemaligen Schatzmeisters Kemna "selbstverständlich die Hauptverantwortung" trage. Pastörs schielt schon seit längerem auf den Posten des Parteichefs. Bereits auf dem Bundesparteitag im Mai stellte er fest, dass er Voigt zwar "noch nicht" zum Rücktritt auffordern wolle, im Falle einer Verurteilung Kemnas jedoch eine Kampfkandidatur gegen den amtierenden Parteichef anstrebe. "Wenn bei mir in der Fraktion Geld wegkommen würde und ich hätte vorher gesagt, geht mit den Finanzen um wie ihr wollt, dann könnte mich niemand mehr retten und ich müsste zurücktreten", so Pastörs in einem Interview. Die Quittung für solch unverhohlene Führerkritik kam prompt: Der Parteitag in Bamberg wählte Pastörs mit einem mäßigen Ergebnis lediglich in das Amt eines Beisitzers des Vorstands. Ein steiler Aufstieg sieht anders aus.
"Pastörs ist ein Grenzgänger zwischen dem militanten und dem national-konservativen Flügel der NPD", so David Begrich, Referent der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg; einerseits mühe Pastörs sich aktiv um die Integration militanter Neonazis, andererseits ziele der Fraktionsvorsitzende auf Zustimmung im gemäßigten Milieu. Unklar ist, ob Pastörs bereits genug Parteisoldaten hinter sich geschart hat um es auf einen offenen Machtkampf mit Voigt ankommen zu lassen. Voigt hat in den letzten Monaten viel Kritik einstecken müssen, weil die dilettantisch geführten Wahlkämpfe in Hessen und Niedersachsen der NPD miserable Ergebnisse bescherten. Dennoch gilt Voigt vielen in der Partei immer noch als der Mann, der die NPD aus dem "Tal der Tränen und der politischen Bedeutungslosigkeit" führte, so ein Parteikenner zu stern.de.
Doch nicht nur Voigt steht Pastörs Karrieplänen im Wege. Neben dem Parteichef, der die NPD in den vergangenen Jahren für gewalttätige Neonazis aus dem Umfeld der sogenannten "Freien Kameradschaften" geöffnet hat, müsste Pastörs vor allem am amtierenden NPD-Vize vorbei: Rechtsanwalt Jürgen Rieger.
Ärger um ein Hakenkreuz
Jürgen Rieger hat als Rechtsanwalt in den vergangenen Jahren praktisch alle einflussreichen deutschen Rechtsextremisten vor Gericht vertreten. Vom Holocaustleugner Horst Mahler über Neonaziführer Christian Worch bis hin zu Mitgliedern der Rechtsrock-Gruppe Kraftschlag. Riegers zweites großes Steckenpferd ist neben der Verteidigung von Neonazis der Kauf von Immobilien. Schlagzeilen machte der Rechtsanwalt dieser Tage durch seine angebliche Absicht, im fränkischen Warmensteinach einen Gasthof zu kaufen und zum "nationalen Schulungszentrum" der NPD umzugestalten. Bereits in der Vergangenheit hatte Rieger mit seinen Kaufplänen in anderen Regionen des Landes immer wieder für blankes Entsetzen bei Bürgermeistern und Gemeindevertretern gesorgt, die befürchteten, zukünftig zur Anlaufstelle für Rechtsextremisten aller Couleur zu werden. Oft machten in solchen Fällen die Gemeinden - wie beispielsweise vor zwei Jahren im niedersächsischen Delmenhorst - von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und erstanden die Immobilien zu überhöhten Preisen. Experten des Landesamtes für Verfassungsschutz können in solchen Fällen oftmals nicht ausschließen, dass Hausbesitzer die NPD mit Provisionen an den überhöhten Hauspreisen beteiligen.

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Seit Mai 2008 ist Jürgen Rieger stellvertretender Parteivorsitzender der NDP. Mit ihm ist ein mehrfach einschlägig vorbestrafter Repräsentant des militanten Flügels in höchste Parteiämter vorgerückt. Eigentlich hätte Rieger - im Falle eines Rücktritts von Udo Voigt - ein Vorrecht auf den braunen Thron. Doch Rieger hat ein Problem: Beim Begräbnis eines Alt-Nazis kam es vor wenigen Tagen zu einem Eklat. Kurz bevor der Sarg unter der Erde verschwand, legte der NPD-Aktivist Thomas Wulff eine Hakenkreuzfahne auf ihm ab. Die Sache flog natürlich auf, auch weil Rechtsextremisten auf einer einschlägigen Internet-Seite die Tat des zum militanten Flügel gehörenden Wulff frenetisch feierten. Nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Wulff aufgenommen hatte, distanzierte sich Parteichef Voigt von der "gestrigen Symbolik" der Aktion, der er als Trauergast selbst beigewohnt hatte - und brachte damit die "Freien Kameradschaften" gegen sich auf. Als deren Repräsentant aber versteht sich wiederum Rieger - und keilt deshalb auf einer Nazi-Website zurück gegen Voigt.
Machtkampf mit offenem Ende
Ob das Riegers Chancen bei einer möglichen Kandidatur zum Parteivorsitz verbessert, ist fraglich. Zu abschreckend wirkt das radikale Auftreten des Hamburger Rechtsanwaltes, der für ein Gespräch mit stern.de nicht erreichbar war. Dass auch Rieger und Pastörs sich nicht unbedingt in nationaler Solidarität zugetan sind, daran lässt vor allem Pastörs keinen Zweifel. Sollte Rieger den Parteivorsitz anstreben, werde er "alles unternehmen, um das zu verhindern", so Pastörs in einem Interview. Den Grund dafür liefert - einmal mehr - sein Pressesprecher Jürgen Molau. Riegers Nationalismus sei "vergangenheitsorientiert", so Molau zu stern.de. Ein Vorwurf, den man in dieser Form bei der NPD nicht unbedingt hätte erwarten können.
Die Auswirkungen des innerparteilichen Machtkampfes auf die zukünftige Struktur der NPD sind schwer abzuschätzen. Mit dem drohenden Gerichtsverfahren gegen Kemna schadet die Partei zwar ihrer Glaubwürdigkeit unter den einfachen Mitgliedern, bedeutsamer ist aus Sicht von Rechtsextremismusexperten aber die politische Dimension der aktuellen Krise. "In der NPD tobt ein andauernder Kampf um die politische Deutungshoheit", so David Begrich. Sowohl Jürgen Rieger als auch Udo Pastörs stehen für eine aktive Einbindung der militanten "freien Kameradschaften" und eine Hinwendung zu einem aggressiven Politstil. Darin unterscheiden sie sich von Voigt, unter dessen Vorsitz die Einbindung militanter Neonazis in die NPD stattfand, der sich nach außen hin jedoch um ein möglichst biederes Auftreten im Stile einer stramm deutsch-nationalistischen Partei müht, die auch im rechten Rand des bürgerlichen Lagers wählbar ist. Nachdem rechte Schlägertrupps am 1. Mai auf einer NPD-Demonstration in Hamburg Journalisten, linke Gegendemonstranten und Polizisten angriffen, kritisierte das Parteipräsidium die Gewaltexzesse als "anarchistische Erscheinungsformen" und erklärte, "dass man sich den Anspruch, modern und revolutionär wirken zu wollen" nicht dadurch "erkaufen" könne, "dass man Erscheinungs- und Kleidungsformen der altbackenen Antifa nachahmt".
Die gewalttätigen Hooligans wirklich aus der NPD auszuschließen, kann sich Voigt nach Einschätzung von Kennern der Szene allerdings gar nicht leisten. Viel zu groß sei die Verlockung, über die militanten "freien Kameradschaften" einen Fuß in die Tür zum braunen Nachwuchs zu bekommen. So scheint es, als wird der angeschlagene Parteichef weiter seinen Schlingerkurs fahren, irgendwo zwischen rassistischen Biedermännern und brutalen Schlägern. Eine Strategie, die offensichtlich bald zu scheitern droht. Eine Eskalation des Konfliktes in den nächsten Wochen ist für Begrich absehbar, "spätestens mit der Verurteilung von Kemna kommt der Tag der Wahrheit in der NPD".