Fried – Die Politik-Kolumne Nach Diktat verreist – warum der Kanzler-Urlaub mitunter zum Politikum wird

Nico Fried Kolumnen Illustration
Nico Fried über die politische Dimension des Kanzler-Urlaubs 
© Illustration: Sebastian König/Stern; Foto: Henning Kretschmer/Stern
Aufdringliche Journalisten, Touri-Scharen und diplomatische Fehlgriffe: stern-Kolumnist Nico Fried über die Besonderheiten des Kanzler-Urlaubs.

Olaf Scholz ist in den Ferien. Ein paar Tage vor der Abreise gab sich der Regierungssprecher noch sehr geheimnisvoll. Der Kanzler werde "ein paar Tage" Urlaub machen, kündigte Steffen Hebestreit an – und zwar "im befreundeten europäischen Ausland".

Mit seiner verschwiemelten Aussage wollte es der Regierungssprecher neugierigen Journalisten erschweren, Scholz aufzuspüren. Dem Kanzler sitzt noch die Erinnerung an das vergangene Jahr in den Knochen, als er von Reportern der "Bild"-Zeitung beim Wandern im Allgäu entdeckt und vor laufender Kamera befragt wurde. Das sei nicht verboten gewesen, sagte Scholz später dem stern, aber "lästig".

Von St. Gilgen zum Wolfgangsee

Die Aussage "im befreundeten europäischen Ausland" könnte aber auch noch einen anderen Grund gehabt haben: Denn die Wahl des Kanzler-Urlaubsortes kann schnell zum Politikum werden. Und es war Olaf Scholz, der das vor etlichen Jahren schon mal selbst aus nächster Nähe erlebt hat. Dazu gleich mehr.

Bei Helmut Schmidt war die Sache noch einfach. Schmidt – für Scholz nicht nur Vorgänger, sondern gelegentlich auch Vorbild – zog sich stets in sein Ferienhaus in Langwedel am Brahmsee zurück. Berichte aus dieser Zeit belegen einmal mehr, dass früher mitnichten alles besser war. So schrieb der "Spiegel" im August 1977 über die Neugier am Regierungschef: "Touristen mit Fernrohren vorm Bauch, Journalisten mit Notizblöcken im Jackett, Photographen mit Teleobjektiven streifen durch die Dorfstraßen, stolpern durchs Schilf des Brahmsees, lungern an Gartenzäunen herum und lümmeln sich an der Theke von Bernhard Schmidts Fisch-Pinte oder im Dörpskrog".

Helmut Kohl fuhr alle Jahre wieder an den Wolfgangsee in Österreich, auch das politisch noch weitgehend unverfänglich. Für die vom Bundespresseamt arrangierten Fotos aus der Familienidylle zog der Kanzler anfangs noch Anzug und Krawatte an, ehe er es mit zunehmender Amtszeit lässiger angehen ließ. "Ein paar Tage", wie es Scholz für sich ankündigen ließ, reichten Kohl nicht. Er blieb stets vier Wochen in St. Gilgen. Seine Besucherin Margaret Thatcher soll er nach einer Stunde wieder fortgeschickt haben, weil er Kuchen essen wollte. Jahrelang erinnerte eine "Kanzlertorte" in der Konditorei Dallmann an Kohls Besuche.

Olaf Scholz im Urlaub: Wenn das Private politisch wird

2003 erlebte Olaf Scholz, wie das Private auch im Urlaub plötzlich politisch werden kann: Kanzler Gerhard Schröder wollte seine Sommerfrische im italienischen Pesaro genießen. Kurz vor der Abreise beschrieb der in der Regierung von Silvio Berlusconi für Tourismus zuständige Staatssekretär Stefano Stefani die Deutschen als "einförmige, supernationalistische Blonde", die "besoffen von aufgeblasener Selbstgewissheit" seien. Schröder blieb in Hannover. Sein damaliger SPD-Generalsekretär Scholz erklärte das so: Sehr viele Deutsche verbrächten ihren Urlaub in Italien und hätten es nicht nötig, sich pauschal verunglimpfen zu lassen. "Das hat der Kanzler mit seiner Entscheidung deutlich gemacht."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Ach ja, Italien. Angela Merkel zog es meist zweimal im Jahr über die Alpen: An Ostern auf die Insel Ischia, im Sommer zum Wandern nach Südtirol. 2018 aber wartete man in den Bergen vergebens auf die Kanzlerin. In Berlin hing wegen der Migration wieder mal der Haussegen in der Union schief. Ein anderer Grund für den zeitweiligen Italien-Boykott, den die Kanzlerin nicht öffentlich kommunizierte, war wohl jedoch der erstmalige Einzug des Rechtspopulisten Matteo Salvini in eine italienische Regierung.

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Erschienen in stern 31/2023