Entscheidung im Bundesrat NRW-Minister Laumann fordert Widerspruchslösung für Organspende: "Ich lasse nicht locker"

Porträtaufnahme von Karl-Josef Laumann, er gestikuliert mit seiner rechten Hand.
Karl-Josef Laumann: "Wir haben innerhalb der bestehenden Regelung alles versucht."
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Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) will die Zahl der Organspenden erhöhen und macht im stern-Interview Druck auf die Bundespolitik. Per Antrag im Bundesrat will er eine erneute Debatte über das sensible Thema erzwingen.

Herr Laumann, gemeinsam mit Ihrem Kollegen aus Baden-Württemberg haben Sie eine Initiative in der Länderkammer gestartet: Sie wollen die derzeitige Regelung der Organspende ändern. Warum? 
In Deutschland warten derzeit 8000 Menschen auf ein Organ und viele von ihnen werden sterben. Weil es nicht genügend Spender gibt. Wir sehen immer deutlicher: Die Zustimmungsregel reicht nicht aus. 

Diese besagt, dass Menschen zu Lebzeiten oder Angehörige nach dem Tod einer Spende aktiv zustimmen müssen.
Aber das tun nicht genügend. Wir haben in Deutschland, was Organspenden angeht, ein erhebliches Problem. Die Spenderzahlen stagnieren nicht nur, sie sinken sogar. 

Mit Ihrem Antrag wollen Sie den Bundestag auffordern, erneut über die Widerspruchsregelung abzustimmen. Erst vor etwas mehr als drei Jahren haben die Abgeordneten diese abgelehnt, und stattdessen ein Gesetz "zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft" beschlossen. Müsste man den neuen Maßnahmen nicht erstmal eine Chance geben?  
Das sehe ich anders. Es ist inzwischen alles unternommen worden, um im Rahmen unserer Zustimmungsregelung die Zahlen nach oben zu bringen. Wir müssen so ehrlich sein und zugeben, dass das alles nicht hilft. Wir dürfen jetzt nicht mehr länger abwarten.  

Unter anderem wurde ein Register angekündigt, in dem Menschen ihre Zustimmung zur Organspende online vermerken können sollen. Dieses befindet sich noch im Aufbau. Sie denken also: Das wird’s eh nicht bringen? 
Doch, aber nur wenn es die Widerspruchslösung gibt. Dann hätte das Register Dokumentationskraft für die gesamte Bevölkerung. Ohne Widerspruchslösung würden nur diejenigen erfasst, die sich zum Register aktiv anmelden. Insofern würde es bezüglich der Dokumentation nicht mehr bringen als das Ausfüllen eines Organspendeausweises. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir eine starke Transplantationsmedizin wollen, müssen wir zu einer Widerspruchslösung kommen. Schauen Sie auf andere Länder wie Spanien und Österreich. Dort gilt die Widerspruchslösung. Deshalb gibt es dort deutlich mehr Spenden. In Spanien wartet man zwei Jahre auf eine neue Niere. In Deutschland sind es acht bis zehn Jahre.

Als Gegenbeispiel könnte Baden-Württemberg dienen: Hier gab es im vergangenen Jahr 22 Prozent mehr Spender als im Vorjahr. Die Zahl zu erhöhen, geht also doch – auch mit der jetzigen Regelung.  
Woran das in Baden-Württemberg im Einzelnen liegt, weiß ich nicht. Es steht aber fest: Wenn Sie sich die Zahlen für ganz Deutschland anschauen und mit anderen Ländern vergleichen, sind unsere Zahlen beschämend niedrig. Dass die Situation bei uns nicht noch viel schlimmer ist als ohnehin schon, liegt nur daran, dass wir über Eurotransplant auch Organe aus anderen Ländern erhalten können. Wir profitieren von deren höheren Zahlen. Das darf aber nicht weiter der Weg sein. Die anderen Länder sagen zu Recht: Das ist unfair – ihr braucht auch selbst mehr Spender.  

Hätten Sie in Nordrhein-Westfalen noch mehr tun können? 
Wir haben innerhalb der bestehenden Regelung alles versucht. Wir haben etwa in allen Krankenhäusern Transplantationsbeauftragte. Aber auch damit gibt es sehr viel Ablehnung, weil die Angehörigen meist nicht wissen, wie der Verstorbene darüber gedacht hat. Und deshalb im Zweifel einer Spende nicht zustimmen. 

Die von Ihnen angeregte Regelung bedeutet: Widerspreche ich nicht aktiv, können mir nach dem Tod Organe entnommen werden. Auch wenn ich das vielleicht gar nicht wollte. Die körperliche Unversehrtheit steht aber sogar im Grundgesetz.  
Man kann jedem Erwachsenen zumuten, die Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen. Beides ist in Ordnung, Ja oder Nein, man muss sich nur entscheiden. Ich denke, dass der Staat das von den Bürgerinnen und Bürgern verlangen kann. So ist das in anderen Ländern schließlich auch. Das würde die Situation auch für die Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern verbessern und für die Hinterbliebenen, die mit der jetzigen Regelung in einer traumatischen Situation oft überfordert sind. 

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist für eine Widerspruchslösung. Als zuständiger Minister könnte er einen solchen Gesetzentwurf einfach in den Bundestag einbringen – will das aber nicht tun, weil die Initiative aus dem Parlament kommen müsse, so sein Argument. Wie enttäuscht sind Sie? 
Da bin ich nicht enttäuscht. Ich weiß, dass Herr Lauterbach in dieser Frage genauso denkt wie ich. In dieser Frage passt zwischen uns beide kein Blatt Papier. 

Weil aber nicht Lauterbach, sondern Sie als Landesminister die Sache in die Hand nehmen, gibt es ein Problem. Selbst wenn der Bundesrat am Freitag Ihrem Antrag zustimmt: Rechtlich bindend ist dieser nicht.  
Aber es wäre ein klares Signal. Wenn wir eine deutliche Mehrheit dafür bekommen, sollte der Bundesgesetzgeber handeln. Ich werde dann ein bisschen abwarten, und beobachten, ob sich dort etwas tut. Sollte das nicht der Fall sein, werde ich ein weiteres Register ziehen und einen Gesetzentwurf in die Länderkammer einbringen. Denn durch einen solchen wäre der Bundestag gezwungen, sich damit zu beschäftigen. Ich lasse in der Sache nicht locker.  

Sollte es Ihre Forderung in den Bundestag schaffen: Warum gehen Sie davon aus, dass sich an der ablehnenden Haltung der Abgeordneten seit der letzten Abstimmung etwas geändert hat?  
In der Zwischenzeit wurde gewählt, es ist jetzt ein neuer Bundestag mit vielen neuen Abgeordneten. Es ist deshalb richtig, dass dieser nochmals über die Frage berät. Ich bin da zuversichtlich.