Jürgen Trittin wurde in Oldenburg als "Superminister" gefeiert. Der Umweltminister, der für die verbleibenden Wochen der rot-grünen Regierung auch das Verbraucher- und Agrarressort übernommen hat, ist einer der letzten Stars, der den Grünen standing ovations entlockt, nachdem sich Joschka Fischer aus der aktiven Parteipolitik zurückgezogen hat. Auf ihrem Parteitag am Samstag nahmen die Grünen Abschied von Fischer als Führungsfigur und begaben sich auf die Suche nach einer neuen Rolle.
Das Führungskleeblatt mit den beiden Parteivorsitzenden Reinhard Bütikofer und Claudia Roth sowie den beiden Fraktionschefs Renate Künast und Fritz Kuhn riss die rund 700 Delegierten in Oldenburg nicht von den Stühlen. Es mag daran gelegen haben, dass Roth an einer fiebrigen Bronchitis litt. Es könnte auch ein Fehler gewesen sein, dass Kuhn Künast komplett den Vortritt ließ und sich nicht selbst zu Wort meldete.
Viel Applaus für Trittin
Mit ihrem stehenden Applaus für Trittin manifestierten die Delegierten nicht nur ihre Sehnsucht danach, die Leerstelle zu füllen, die Fischer hinterlassen hat. Sie erinnerten auch daran, dass der Parteilinke einer der wenigen aus der scheidenden Führungsriege der Grünen ist, dem bislang keine adäquate Position angetragen wurde. Während sich der scheidende Außenminister Fischer freiwillig zurückzog und die ehemalige Verbraucherministerin Künast Fraktionschefin wurde, nominierte die Fraktion ihre ehemalige Chefin Katrin Göring-Eckardt zur Bundestagsvizepräsidentin. Ihre frühere Amtskollegin Krista Sager hat Aussichten auf einen Fraktionsvizeposten. Einer, der auch noch einen Hauch von Glamour in den eher glanzlosen Parteitag brachte, war der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, der bereits zum zweiten Mal in Berlin-Kreuzberg für die Grünen ein Direktmandat geholt hatte. Eine "Ein-Mann-Volkspartei" nannte Bütikofer Ströbele, der beachtliche 43 Prozent der Stimmen geholt hatte.
Dass ausgerechnet die Parteilinken Trittin und Ströbele mit Standing Ovations gefeiert wurden, ist auch ein Zeichen dafür, dass die Basis der geplanten langfristigen Öffnung der Partei in Richtung Union skeptisch gegenübersteht. In den Debattenbeiträgen wurde nicht selten gerügt, dass unmittelbar nach der Wahl der Grünen-Vorstand zwar mit der Union eine mögliche Jamaika-Koalition unter Beteiligung der FDP sondiert, die Linkspartei jedoch links liegen gelassen hatte - und das, obwohl die Bundestagswahl rein rechnerisch eine Mehrheit links von der Mitte ergeben hat. Ströbele empfahl, die Grünen mehrheitsfähig zu machen für eine Linkskoalition. Trittin setzte die Hürden für eine Koalition mit der Union reichlich hoch. "Wer mit uns für Bürgerrechte, Verteilungsgerechtigkeit und Politik weg vom Öl streiten will, kommt als Bündnispartner in Frage", rief er.
Warnung vor "Kombinationsspielchen"
Befürchtungen der Delegierten, ein Bündnis mit der Union könnte in greifbare Nähe rücken, versuchte die Parteiführung mit vorsichtigen Formulierungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die SPD bleibe die wichtigste Option, beschwichtigte Bütikofer. Mit Blick auf die im nächsten Jahr anstehenden fünf Landtagswahlen warnte er vor "Kombinationsspielchen". Auch Künast betonte: "Wir geben in Oldenburg keine Kontaktanzeige auf." Die Grünen suchten nicht auf Gedeih und Verderb einen Partner. Mit der CDU gebe es derzeit "wenig Schnittmengen". Der Begriff "Äquidistanz" mutierte in der Weser-Ems-Halle zum Schimpfwort. "Inhalte vor Macht" war hingegen der Schlüsselsatz, den kaum einer ausließ. Für diese unbeugsame Haltung zollte Gastrednerin Ursula Engelen-Kefer vom DGB den Grünen besonderen Respekt.
Der Abschied von der Macht und der Abschied von Fischer - beides stimmte den Parteitag auch ein bisschen wehmütig. Bütikofer räumte ein, dass die Partei den "Gottvater" gerne noch einmal dabei gehabt hätte. "Vielleicht hatte er Angst, dass es zu rührselig wird", vermutete der Parteichef. Was das Selbstbewusstsein der Partei angeht, die künftig die kleinste im Bundestag sein wird und auch in keinem Bundesland mehr an der Macht beteiligt ist, so machte Künast den Delegierten Mut. "Wir sind zwar klein, aber wir haben Grips, Analyse und Ideen, um Deutschland zukunftsfähig zu machen." Trittin meinte, der Aufbruch in die neue Rolle müsse selbstbewusst und frohgemut vollzogen werden. Dass dies aber kein leichter Gang sein wird, räumte er ein.
Claudia Kemmer/AP