Pro & Kontra Boykott gegen Teheran?

Die US-Geheimdienste haben die Welt überrascht: Nach ihren Erkenntnissen baut der Iran seit vier Jahren nicht mehr an der Atombombe. Sind Sanktionen jetzt noch sinnvoll?

Pro: Der Bericht der US-Geheimdienste hat den Falken in Washington den Wind aus den Flügeln genommen. Zum Aufatmen ist es trotzdem zu früh. Schließlich bestätigt das Papier eine der schlimmsten Befürchtungen: Der Iran hat heimlich an einem Programm zur Entwicklung von Atomwaffen gearbeitet. Das mag heute auf Eis liegen. Doch wer um den innenpolitischen Wert einer Bombe für die Regierung Ahmadinedschad weiß, den würde eine Wiederaufnahme des Bombenbaus nicht überraschen. Die Apokalypse ist womöglich nur vertagt. Deshalb ist es wichtig, an den bestehenden Sanktionen festzuhalten: Sie können - neben umfassenden Verhandlungsangeboten - die Weltgemeinschaft vor dem Dilemma bewahren, bei einer neuen Konfrontation zwischen einer iranischen Bombe und einem Krieg gegen den Iran wählen zu müssen. Ein solcher Krieg hätte fatale Folgen für den gesamten Nahen Osten. Zusätzliche Sanktionen gegen Teheran, wie die US-Regierung sie immer noch anregt, haben derzeit keine Chance. Allgemeine Wirtschaftssanktionen wie ein Ölboykott sind zudem kontraproduktiv. Denn sie geben Ahmadinedschad die Chance, die Schuld für sein Versagen in der Wirtschaftspolitik der Weltgemeinschaft in die Schuhe zu schieben.

Mit gezielten Sanktionen lässt sich der inneriranische Disput vertiefen

Andererseits steht der iranische Präsident wegen der bestehenden Sanktionen unter dem Druck seiner innenpolitischen Gegner. Wäre er der Wiener Atomenergiebehörde früher entgegengekommen, so das Argument der Kritiker, wären dem Land schmerzhafte Strafmaßnahmen erspart geblieben. Mit gezielten Sanktionen lässt sich also der inneriranische Disput vertiefen - gegen Ahmadinedschad. Sinnvoll sind Sanktionen aber auch dann nur in Verbindung mit Verhandlungsangeboten und einem politischen Gesamtkonzept für den Iran. Dieses fehlt bisher völlig. Deutlich wird das zum Beispiel am Fehlen jeglicher Menschenrechtspolitik der EU gegenüber dem Iran. Es ist zu hoffen, dass nun eine Annäherung beginnt, an deren Ende konstruktive Verhandlungen stehen - vor allem direkte Gespräche zwischen dem Iran und den USA. In denen muss es dann auch um die Aufhebung der Sanktionen gehen. Doch damit es so weit kommt, sollte die Weltgemeinschaft sie nicht einseitig zurücknehmen. Sie helfen, die Stimmen der Vernunft zu stärken - in Teheran wie in Washington.

Contra: Weder die UN-Sanktionen noch das Embargo der USA haben das Teheraner Regime zu einem Verzicht auf die Urananreicherung bewegt. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Denn der Iran lässt sich wirtschaftspolitisch nicht isolieren. Das hat mehrere Gründe. Erstens: Russland und China haben die Resolutionen gegen Teheran immer verwässert - ihnen sind die eigenen Interessen wichtiger als eine geschlossene Front. Zweitens: Gerade in Zeiten hoher Ölpreise ist der Iran einfach nicht verwundbar genug. Drittens: Trotz des enormen US-Drucks sind Deutschland und Frankreich nicht willens, ihre Investitionen und Exporte in Milliardenhöhe auf lange Sicht einzustellen. Ohnehin sind China, Indien, Russland und Malaysia dabei, ihre Investitionen im Iran zu erhöhen. Deshalb sind Sanktionen bisher politisch wirkungslos geblieben. Schlimmer noch: Sie arbeiten Präsident Ahmadinedschad und seiner Hardliner-Fraktion in die Hände. Ahmadinedschad, der selbstbewusster denn je auftritt, hat die iranische Wirtschaft gegen die Wand gefahren. Doch er kann leicht auf die Sanktionen als Ursache für die Misere verweisen.

Respekt statt Schurkenstaat-Rhetorik, Einbindung statt Isolierung

Druck von außen wirkt wie ein Bindemittel im Inneren des Iran. So überraschend das klingen mag: Nicht mehr, sondern weniger Wirtschaftsdruck von außen würde den politischen Druck auf die Hardliner in Teheran erhöhen. Eine Einigung im Atomkonflikt ist durch Sanktionen nicht zu erreichen. Sie wird nur gelingen, wenn die Regierung in Washington aufhört, einen "regime change" in Teheran voranzutreiben, und der iranischen Regierung in direkten Verhandlungen Sicherheitsgarantien anbietet. Solange die Machthaber in Teheran einen militärischen Angriff der USA fürchten müssen, werden sie sich die nukleare Option offenhalten. Respekt statt Schurkenstaat-Rhetorik, Einbindung statt Isolierung, Eindämmung statt der angedrohten Einäscherung iranischer Nuklearanlagen - diese Politik könnte Ahmadinedschad schwächen. Ein solcher Kurs zielt auf die Gemäßigteren in der vielschichtigen Teheraner Führung ab. Machen wir uns nichts vor: Auch sie werden ohne Gegenleistung bei der Urananreicherung kaum einlenken. Aber sie könnten bereit sein, ihren Nachbarn und dem Westen gegenüber eine konstruktivere Politik einzuleiten. Damit wäre viel gewonnen.

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