Programm-Check Linkspartei Ist Hartz IV zu niedrig?

Die Linkspartei hat kein Programm - aber ein Faltblatt mit 100 Forderungen. Sind diese Vorschläge realistisch oder populistischer Unsinn? stern.de hat zehn Forderungen nachgeprüft.

Beim Wort genommen

"Der Regelsatz für Hartz IV wird auf monatlich 435 Euro festgesetzt." (100-Punkte-Programm der Linkspartei)

Die Sicht der Linken

Eine Studie der Universität Chemnitz hat vor wenigen Wochen große Empörung hervorgerufen: Sie kam zu dem Ergebnis, dass 132 Euro im Monat zum Leben reichen. Der Regelsatz für Hartz IV liegt derzeit bei 351 Euro im Monat. Für

Katja Kipping

, sozialpolitische Sprecherin der Linkspartei, ist auch das noch zu wenig, wie sie stern.de sagt: "Hartz IV bedeutet Armut und Ausgrenzung per Gesetz. Die Linkspartei setzt sich zur Überwindung von Hartz IV für eine soziale repressionsfreie Grundsicherung ein. Als sofortige Maßnahme fordern wir die Anhebung des Regelsatzes im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende, also Hartz IV, aber auch in der Sozialhilfe, der Grundsicherung im Alter, bei Erwerbsminderung und für Asylbewerberinnen und Asylbewerber auf 435 Euro. Damit würden die Manipulationen des Regelsatzes, die die damalige rot-grüne Bundesregierung bei der Einführung von Hartz IV vorgenommen hat, rückgängig gemacht und die Preiserhöhungen berücksichtigt. Die Forderung der Linkspartei befindet sich in Übereinstimmung mit der Forderung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der exakte Berechnungen zu dieser Regelsatzhöhe vorgelegt hat."

Holger Schäfer

Institut der deutschen Wirtschaft, Köln

"Die massive Erhöhung des Regelsatzes würde auch zu massiven Mehrkosten für die öffentlichen Haushalte führen. Allein für die bestehenden Empfänger wären mehrere Milliarden Euro zusätzlich erforderlich. Aber durch die Regelsatzerhöhung weitet sich auch den Kreis der Anspruchsberechtigten erheblich aus, so dass die Zahl der ALG II-Empfänger steigen würde. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung rechnet mit 800.000 zusätzlichen Fällen und Mehrkosten von insgesamt zehn Milliarden Euro. Mit der Erhöhung würden auch starke Anreize gesetzt, gering bezahlte Beschäftigungsverhältnisse aufzugeben oder gar nicht erst einzugehen. Je attraktiver der Transferbezug ist, desto weniger attraktiv ist die Alternative der Erwerbsarbeit. Letztlich erscheint fraglich, ob eine Erhöhung der Transferleistungen gerecht ist. Das ALG II ist eine Fürsorgeleistung zur Sicherung des Existenzminimums, nicht zur Sicherung des Lebensstandards."

Gustav Horn

Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung

"Das ist eine vernünftige Forderung. Hier wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Regelsatz von Anfang an zu niedrig festgesetzt wurde, um Sonderausgaben für notwendige größere Anschaffungen pauschal aufzufangen - etwa für den Ersatz eines defekten Kühlschranks. Bemerkenswert ist, dass die Linkspartei hiermit de facto die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Zuge der Hartz-Reformen akzeptiert, gegen die sie doch eigentlich immer wieder protestiert."

Frank Dillmann

Fachanwalt für Sozialrecht, Heidelberg

"Die Erhöhung des Regelsatzes ist eine rein politische Frage. Aufgrund der erheblichen Preissteigerungen der letzten Jahre, insbesondere bei Lebensmitteln und Energiekosten, lässt sich sicherlich verfassungsrechtlich unbedenklich auch eine Erhöhung bis zu einem Betrag von 435 Euro rechtfertigen. Es müsste jedoch daneben die Steuer- und Beitragslast von Normalverdienern insbesondere mit Familie reduziert werden, da ansonsten der Abstand zwischen dem Existenzminimum und dem Netto-Arbeitseinkommen zu gering werden kann. Davon abgesehen würde das zusätzliche Geld sicherlich voll in den Konsum gehen, was als Nebeneffekt eine Förderung der Binnenwirtschaft zur Folge hätte - wovon wiederum der Staat durch höhere Einnahmen profitieren könnte."

Mittelmäßige Realisierungschancen

Die Höhe des Regelsatzes für Hartz IV wird mit Sicherheit bei den nächsten Koalitionsverhandlungen ein Thema sein. In welchen Umfang sich die Sozialpolitiker durchsetzen können, ist eine offene Frage.

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Fazit

Markus Baluska