Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Edathy braucht ein Urteil

Gerade weil Edathy in der Öffentlichkeit so ausgiebig vorverurteilt wurde, braucht er nun einen sauberen Prozess. Nur ein Urteil kann das Vorurteil entkräften.

"Auf ein Urteil kommt es gar nicht mehr an." Mit diesen Worten beschreibt der Anwalt die Situation seines Mandanten. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy muss sich seit heute im niedersächsischen Verden vor Gericht verantworten. Es geht um den Besitz von Kinderpornografie und die Frage, welche Filme und Fotos Edathy wann woher bezogen hat. Für Edathy geht es vor allem um die Frage, ob ein fairer Prozess angesichts der Umstände überhaupt möglich scheint.

Zu diesen Umständen zählt, dass die Öffentlichkeit ihr Urteil längst gefällt hat, woran aus Sicht des Anwaltes die Medien und Strafverfolger Schuld seien. In 25 Fällen seien Ermittlungsergebnisse durchgestochen worden, ein "Verstoß gegen ein faires Verfahren", wie Edathy seinen Anwalt erklären lässt. Da hat er Recht. Auch wenn es reichlich absurd anmutet, wenn sich ausgerechnet Edathy darüber echauffiert, der selbst von solchen Durchstechereien profitiert hat. Der selbst Informationen über ein drohendes Verfahren gegen ihn erhalten haben soll, bevor es offiziell eröffnet war. Der diesen Zeitvorsprung womöglich dafür nutzte, belastendes Material zu beseitigen. Der selbst aussagte: "Ich bin laufend unterrichtet worden, wo die Akte sich befindet." Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages befasst sich darum seit Wochen mit der Frage: Wer hat wann, was gewusst und wem weitergetratscht?

Tratschende Justiz

Tratschen ist menschlich, es gehört zum politischen und medialen Handwerk. Zum juristischen gehört es nicht. Und dennoch tratscht auch die Justiz, geben auch Ermittler und Staatsanwälte Informationen weiter, die doch vertraulich bleiben sollen. Weil sie sich wichtig machen wollen. Weil sie es im laufenden Verfahren womöglich gar für hilfreich halten. Und womöglich auch, weil Journalisten sie dazu verleiten. Das ist heikel, mitunter sogar strafbar, wie das Ermittlungsverfahren gegen den Generalsstaatsanwalt zeigt, der nicht nur für den Fall Edathy, sondern auch schon in der Causa Wulff die Feder führte. Medien profitieren von der Informationsweitergabe, auch jene, in denen dieser Tage besonders große Krokodilstränen vergossen werden über einen dräuenden Staatsnotstand.

Doch im Kern geht es nicht um vermeintliche oder tatsächliche Durchstechereien, die beklagenswerte Vorverurteilung des Angeklagten war da längst erledigt. Die Tatsache, dass sich Edathys Name auf der Kundenliste einer kanadischen Firma fand, die auch Kinderpornos im Angebot hatte, begründete einen Anfangsverdacht. Dieser Anfangsverdacht musste zwingend zu weiteren Ermittlungen führen - aber definitiv nicht zu einer live im Fernsehen übertragende Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft auf Basis dünner Erkenntnisse.

Öffentliche Vorurteile

Spätestens seit dieser Pressekonferenz hatte Sebastian Edathy keine Chance mehr. Spätestens da hat die Öffentlichkeit ihr Urteil gefällt. Er hatte keine Chance, nicht bei den Vorwürfen, die im Raum standen. Nicht bei einem Parteichef, der den in Not geratenen Genossen sofort per Rauswurf entsorgen wollte. Nicht bei der Panik, die alle mittelbar Beteiligten plötzlich überkam. Minister, Fraktionschefs und Abgeordnete, die in den Sumpf gerieten - auch weil der Versunkene alles daran zu setzen schien, nicht der Einzige zu bleiben, den es in die Tiefe sog.

Auf ein Urteil kommt es nicht mehr an? Das Gegenteil ist richtig: Vor dem Verdener Gericht geht es nun endlich nur um ihn allein, um das, was er getan hat, um seine persönliche Schuld oder Unschuld. Gerade wegen der massiven öffentlichen Vorverurteilung, ist das Urteil eines unabhängigen Gerichts so zwingend nötig. Wenn er von seiner Unschuld überzeugt ist, wie er stets beteuert hat, muss er auf dieses Urteil bestehen. Gerade weil Sebastian Edathy nichts mehr zu verlieren hat.