Nach dem Scheitern der großen Koalition in Berlin ist zwischen CDU und SPD Streit über die von der SPD und der Opposition geforderten Neuwahlen ausgebrochen. Während Regierungschef Eberhard Diepgen (CDU) am Donnerstag ebenso wie die SPD zunächst für Neuwahlen nach den Sommerferien plädiert hatte, hielten die CDU-Führungsgremien am Abend dies offen. Der SPD-Landeschef Peter Strieder hatte zuvor nicht ausgeschlossen, Neuwahlen mit Hilfe eines Misstrauensvotums gegen Diepgen im Abgeordnetenhaus zu erzwingen. Das ginge nur mit den Stimmen der Grünen und der PDS. Die SED-Nachfolgepartei würde damit zwölf Jahre nach dem Mauerfall erstmals eine zentrale Rolle in der Hauptstadt spielen. SPD-Chef und Kanzler Gerhard Schröder gab der Landes-SPD freie Hand für neue Bündnisse, auch mit der PDS.
Die SPD-Partei- und die Fraktionsspitze stellten sich hinter Strieder. Auch Schröder sprach sich klar für Neuwahlen in Berlin aus. Er sei »sehr, sehr einverstanden« mit der Entscheidung der Berliner SPD für Neuwahlen, sagte er am Abend in Berlin. Ein SPD-Landesparteitag soll am Sonntag formell das Ende des Bündnisses nach zehn Jahren besiegeln. Strieder, der auch Umweltsenator ist, sagte, die SPD werde ihre Senatoren nicht zurückziehen, da sie weiter das Vertrauen des Parlaments hätten. Wie lange der derzeitige Senat amtiere, müsse nun mit der CDU verhandelt werden.
Diepgen zeigt sich zurückhaltend
Nachdem Diepgen am Nachmittag erklärt hatte, er werde die Spitzengremien seiner Partei noch am Donnerstag um die Zustimmung bitten, über einen Wahltermin und das weitere Verfahren zu sprechen, gab er sich am Abend zurückhaltender. Es stehe noch nicht fest, dass es Neuwahlen geben werde, sagte er im ZDF. Fraktionschef Frank Steffel sagte nach der Sitzung der CDU-Gremien: »Wir treten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für Neuwahlen ein.« Er schloss aber nicht aus, dass die CDU in dieser Frage in den nächsten Wochen noch ihre Meinung ändern könne. Die CDU hatte bei den Wahlen 1999 knapp 41 Prozent der Stimmen erhalten, die SPD 22,4 und die PDS 17,7 Prozent.
Strieder machte deutlich, dass die SPD auch vor einem Sturz Diepgens nicht zurückschrecken würde. »Wir werden diese Neuwahlen auch dann durchsetzen, wenn die CDU jetzt noch nicht bereit ist.« Der dann gebildete Übergangssenat würde lediglich die Neuwahlen vorbereiten. PDS und Grüne haben bereits signalisiert, dass sie bis zu Neuwahlen einen Minderheitssenat unter SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit mittragen würden. Dieser sagte am Abend im ZDF zur Entscheidung der CDU: »Wir werden einen Termin finden, der sehr zeitnah sein wird, und da wird Herr Diepgen sich nicht entgegen stemmen können.«
Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich
Für die Auflösung des Abgeordnetenhauses und damit Neuwahlen müssen sich zwei Drittel der Abgeordneten aussprechen. Diese Mehrheit kommt nicht ohne Stimmen aus der CDU zusammen. Für einen erfolgreichen Misstrauensantrag und die Wahl eines neuen Regierenden Bürgermeisters reicht die einfache Mehrheit, die von SPD, PDS und Grünen auch ohne die CDU erreicht wird.
Wowereit sagte, der frühestmögliche Termin für Neuwahlen sei wegen der Sommerferien der 23. September. An diesem Tag wird in Hamburg ein neues Landesparlament gewählt. Das Parlament werde über seine Auflösung Ende Juli oder Anfang August in einer Sondersitzung abstimmen. Wowereit bekräftigte, dass er als Spitzenkandidat der SPD zur Verfügung stehe: »Wenn mich die Partei bitten würde, dann Ja.«
Wowereit gilt als Befürworter eines Bündnisses der SPD mit der PDS. Schröder sagte, die SPD-Bundesführung mische sich nicht in die Koalitionsbildung der Länder ein und würde jede Entscheidung der Berliner Landespartei akzeptieren. Er verneinte, dass ein Bündnis mit der PDS in der ehemals geteilten Stadt ein Sonderfall wäre. »Es geht hier nicht um Koalitionen oder Konstellationen,
sondern es geht um Neuwahlen.» Die Berliner SPD habe deutlich gemacht, dass ein Neuanfang notwendig sei, der übrigens «auch von Freien Demokraten und Grünen aktiv betrieben wird».

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Gysi als Spitzenkandidat im Gespräch
Der PDS-Politiker Gregor Gysi, der als PDS-Spitzenkandidat im Gespräch ist, sagte, in eine SPD-geführte Regierung ohne vorherige Neuwahlen »würde die PDS sicher nicht hineingehen«. Nach einem Wählervotum könne die PDS aber in eine Koalition eintreten. Allerdings müssten dann der Kultur- und der Bildungshaushalt vom Sparkurs ausgenommen werden.
Die große Koalition war wegen der finanziellen Schieflage der Bankgesellschaft Berlin ins Schlingern geraten. Wegen der Bankenkrise und ausbleibender Privatisierungserlöse muss Berlin in diesem Jahr die Neuverschuldung um sechs auf über neun Milliarden Mark erhöhen. Schröder lehnte in der »Berliner Zeitung« neue Bundesmittel für Berlin ab, deutete aber seine Gesprächsbereitschaft an, wenn ein schlüssiges Konzept vorliege.