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RSK-Bericht zur Sicherheit von Atomkraftwerken 116 Seiten für die Tonne

Jubel bis Ablehnung: Die Kommentare über den Bericht zur AKW-Sicherheit hätten unterschiedlicher nicht sein können. Tatsächlich dokumentiert er vor allem skandalöse Wissenslücken.
Von Lutz Kinkel

Umweltminister Norbert Röttgen lobte sich und seine Reaktorsicherheitskommission (RSK) in den höchsten Tönen. "Es ist der Sachverstand unseres Landes zusammen gekommen." Sechs Wochen harte und intensive Arbeit lägen hinter den Experten, Tag und Nacht, auch an Wochenenden. Nun läge der Bericht vor, der erste Stresstest deutscher Reaktoren. "Es ist erkennbar, dass wir mit dieser Vorgehensweise international eine Vorreiterrolle einnehmen", sagte Röttgen. Neben ihm saß der Chef der Reaktorsicherheitskommission, Rudolf Wieland, und vermied den Blick ins Publikum. Er wusste wohl besser als der Minister, was er vorgelegt hat.

Vorgehen peinlich und ungenügend

116 Seiten umfasst der Bericht - und schon in der Einleitung ("Vorgehensweise der Robustheitsprüfung") wimmelt es nur so vor Einschränkungen, Vorbehalten und peinlichen Selbsterklärungen. Die wichtigsten:

- Die RSK stützt sich in ihrem Bericht hauptsächlich auf Informationen, die ihr von den Atomkraftwerksbetreibern zugeliefert wurden. Niemand hat diese Informationen nachgeprüft, geschweige denn Checks vor Ort vorgenommen. Würde die "Stiftung Warentest" so vorgehen - sie könnte ihr Blatt gleich einstellen.

- Die RSK hat zunächst einen umfangreichen Fragebogen an die Betreiber verschickt - und erst danach die Kriterien entwickelt, unter denen sie die Antworten auswerten will. Schlussendlich passte, welch' eine Überraschung, das alles oft nicht zusammen. Für Nachfragen blieb keine Zeit.

- Die Auswertung, das räumt die RSK freimütig ein, ist nicht wissenschaftlich fundiert. Sie verlässt sich folglich auf die Einschätzung der Ingenieure und Experten. Der Vorsitzende der RSK, Wolfgang Wieland, räumte ein, es habe kontroverse Diskussionen gegeben.

Bericht mit vielen Fragezeichen

Was soll dabei herauskommen? Schlicht "unbrauchbar" sei der Bericht, teilte die Deutsche Umwelthilfe am Mittwoch mit. Tatsächlich war den Verfassern offenkundig klar, dass sie in der Kürze der Zeit nichts Brauchbares abliefern können.

Seite für Seite sind Formulierungen zu finden, die Distanz, Unsicherheit und Nichtwissen ausdrücken. Ein Klassiker: Es bräuchte noch mehr Nachweise der Betreiber, um die gesicherte Einstufung auf einen Risikolevel vorzunehmen. Oder: Es lägen leider gar keine verwertbaren Informationen vor. Deswegen fielen ganze Kapitel einfach aus. Sind deutsche Atomkraftwerke vor Hacker-Attacken geschützt? Das würden die Länder gerade prüfen, heißt es auf Seite 112. Wie sieht es mit terroristischen Angriffen aus? Eine Antwort sei aufgrund der Kürze der Zeit nicht möglich (S. 111). Ist der Nachbarblock noch beherrschbar, wenn ein Block havariert? Das hat die RSK leider nicht abgefragt (S. 111.) Und was passiert eigentlich, wenn es wie in Fukushima zu einer ganzen Kaskade von Problemen kommt, also die Stromversorgung komplett ausfällt, ebenso die Kühlkreisläufe und Radioaktivität austritt? Nun, für eine Bewertung seien die Antworten der Betreiber nicht ausreichend gewesen (S. 82).

Und selbst bei jenen Themen, bei denen die RSK Risikoeinstufungen vornahm - darunter Erdbebensicherheit, Schutz bei Stromausfall und Überflutung - traute sich die Kommission nicht, ihren eigenen Ansatz zu Ende zu führen. Weil sie über nur unvollständige Informationen verfüge und nicht ein Risiko gegen das andere abwägen wolle, sei eine Gesamtschau der Ergebnisse nicht möglich, heißt es in der Einleitung. Genau darauf hatten aber alle gewartet.

Auf ein Punktesystem zum Beispiel, das die Gefährlichkeit der 17 deutschen Reaktoren darstellt. Besser noch: ein Ampelsystem, das diese Informationen auf den ersten Blick vermittelt. Die Deutsche Umwelthilfe hatte sich in der Nacht zum Mittwoch an einem solchen Ampelsystem versucht - und musste viele Kästchen weiß lassen oder mit einem Fragezeichen versehen. Was nun hat die RSK überhaupt rausbekommen?

Kaum Ergebnisse

So dies und das. Zum Beispiel, dass deutsche Reaktoren besser gegen Hochwasser und Stromausfälle geschützt sind als japanische. Andererseits hält kein Reaktor den Absturz eines mittelgroßen Passagierflugzeugs aus, geschweige denn einer A 380, aber diese Erkenntnis ist alt.

Beim Kühlwasser - und den dazu gehörigen Sicherungssystemen, dem sogenannten Nebenkühlwasser - sind die Risikoklassen unterschiedlich, je jünger die Reaktoren sind, desto besser sind sie ausgestattet. Ach ja, und auch das ist eine Anmerkung aus dem Bericht: Ein Reaktor älterer Bauart, der nachgerüstet wurde, steht in Einzelaspekten besser da als ein moderner.

Viel Freiraum für Interpretationen

Alles klar? Nichts ist klar, wie sich auch an der Kommentarlage ablesen ließ. Die einen sahen in dem Bericht eine Argumentationshilfe für Röttgens Wunsch, beschleunigt aus der Atomkraft auszusteigen. Die anderen feierten "Sicherheitsreserven", zum Beispiel die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Die Atomlobby selbst sah sich sofort in dem Gedanken bestätigt, dass die deutschen Reaktoren allererster Qualität sind; ein Ausstieg "Hals über Kopf" sei nicht notwendig, schrieb das Atomforum. So kann sich jeder aus dem RSK-Bericht das herauspicken, was auf seiner energiepolitischen Linie liegt.

Röttgen selbst sprach am Mittwoch von einem neuen "Risikobild", das sich ergäbe. Richtig ist: Er hat die RSK in eine unlösbare Aufgabe hineingetrieben und sie hat ihm mit schlechtem Gewissen ein paar halbgare Brocken geliefert. Der ursprüngliche Plan, dass die RSK die Gefährlichkeit dokumentiert, damit eine Reihenfolge der stillzulegenden Meiler definiert und die Politik nur noch die Jahreszahlen draufkleben muss, ist gescheitert. Stattdessen ist, Jahrzehnte nach dem Bau der ersten Atomkraftwerke, eine skandalöse Informationslücke zu besichtigen.

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