Durch die Pipeline Nord Stream 1 fließt zwar nun wieder Gas, aber niemand vertraut dem so recht. Und alle wichtigen Fragen sind da weiter offen: "Weiter abhängig von Putins Gas – Wie schafft Deutschland die Energiewende?" also ist die Frage bei Anne Will an diesem Abend. Kanzler Olaf Scholz hat uns ja gerade versprochen, dass "niemand alleine gelassen" wird, mit all den Problemen, und vor allem all den Kosten, die all das verursachen wird. Wenn er da mal nicht zu viel verspricht. Oder?
Wer hat diskutiert?
- Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), Bundestagsvizepräsidentin
- Nina Scheer (SPD), energie- und klimapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion
- Alexander Graf Lambsdorff (FDP), stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag
- Norbert Röttgen (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages
- Petra Pinzler, Korrespondentin im Hauptstadtbüro "Die Zeit"
Wie lief die Diskussion?
Alle reden an diesem Abend durcheinander, ständig, zuvorderst natürlich die Männer in der Runde. Bis man das Ende der Sendung und damit auch das Ende all der gegenseitigen Schuldzuweisungen schließlich als Erlösung empfindet. Dabei hatte es ja noch ein Mann mehr werden sollen, doch Katrin Göring-Eckardt muss als grüne Bundestagsvizepräsidentin nun den Wirtschaftsminister ersetzen, den man zu der Frage der Sendung ja noch lieber gehört hätte. Ist das noch Koalitionsverhandlung oder ist das schon Verzweiflung? Oder liegt es nur daran, dass jetzt, in Zeiten des anhaltenden Ukrainekrieges, alle parteiidentitätspolitischen Themen zugleich auf dem Tisch liegen? Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, Tempolimit, Verstaatlichung von Firmen, Steuern, das Auto, die Schuldenbremse, die Pendlerpauschale, eine Grundsicherung und so weiter. Sie wissen schon.
Eigentlich geht es natürlich um die Energiewende, und die Frage, wie wir am besten jetzt gleich sofort unabhängig werden vom russischen Gas, das Präsident Wladimir Putin jetzt als Macht- und Erpressungsmittel gegen Europa einsetzt. Nina Scheer von der SPD beschwört an dieser Stelle zuerst das "massive Einsparen" (also: von Energie) zum "kollektiven Akt", und fast denkt man, sie hat patriotisch sagen wollen, oder friedensstiftend. Wie ihr Kanzler verspricht sie "weitere Entlastungsmaßnahmen", ohne irgendwie genauer zu werden.
Die ebenso befristeten wie auslaufenden Maßnahmen wie das Neun-Euro-Ticket und der Tankrabatt werden es nicht sein, sagt FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff, soviel sei klar, und auch die Grünen-Politikerin sagt, dass der Staat ja nicht gegen die Krise ansubventionieren könne. Lambsdorff sagt das natürlich auch mehrfach.
Göring-Eckardt träumt von einer auch nicht näher benannten "Anschlusslösung" für vergünstigten Nahverkehr und will dafür eine Kerosinsteuer einführen. Längere Laufzeiten für noch laufenden Atommeiler lehnt sie erst strikt ab – um dann später zu sagen, dass das als "Notversorgung" diskutiert werden könne. Aber erst, wenn vorher die Hallenbäder geschlossen wurden und die Krankenhäuser "nicht mehr arbeiten können". Dann müsse man reden, findet sie. Auch die Schuldbremse stellt sie in Frage, um sich "an der Wirklichkeit" zu orientieren. Die FDP aber beharrt auf ihr, die Grünen früher jedoch auch.
Einen guten Teil der Sendung verbringen die drei AmpelpolitikerInnen auf der einen und der oppositionelle Norbert Röttgen (CDU) auf der anderen Seite indes damit, sich gegenseitig und gern auch gleichzeitig Vorwürfe zu machen. Die einen betonen ständig, was die Regierungen Merkel alles versäumt hätte (etwa den Ausbau der Erneuerbaren Energien), der andere sagt ständig, dass noch gar nichts passiert sei, seit der Krieg ausbrach und treibt damit die Gegenseite zuverlässig zur Weißglut. "Es gibt keine Einsparstrategie", schimpft Röttgen, und dass ein halbes Jahr vertrödelt worden sei, während man sich sehenden Auges in eine selbstverschuldete Abhängigkeit von Russland begeben habe. "Wir haben vieles auf den Weg gebracht", findet Nina Scheer. Und auch Herr Lambsdorff findet das, während er ein paar Gesetze mit ellenlangen Namen benennt, die da draußen kaum einer kennt.
Der besondere Moment
Bizarr wird es, als FDP-Mann Lambsdorff ein Tempolimit als "irrelevant" abtut und als "Mini-Thema". Zwar outet er sich als Fan des Neun-Euro-Tickets, noch mehr aber als Fan des schnellen Fahrens auf freien Autobahnen. Ob es sein könne, dass sich die FDP als Partei der SUV- und Porsche-Fahrer geriert, fragt Will: "Nein, das kann nicht sein." Ob es sein kann, dass ihm klimapolitische Argumente egal sind? Ja, schon; das fragt ihn aber keiner. Norbert Röttgen springt dem FDPler dann bei, obwohl er "starke Sachargumente" für ein Tempolimit sieht. Irgendwie dagegen ist er dann aber doch, aus Parteiräson, oder so, oder weil er lieber Außenpolitik mit markigen Worten macht. Seine Begründung: "Das wird der Dimension nicht gerecht!"

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Die Erkenntnisse
Drei Atommeiler laufen noch in Deutschland, zusammen sind sie für sechs Prozent der deutschen Stromproduktion verantwortlich. In Frankreich ist das zwar anders – dort aber scheitern viele Atomkraftwerke gerade daran, dass sie nicht ordentlich gekühlt werden können: Den Flüssen fehlt ja das Wasser. Bis 2030 sollen aber 80 Prozent des Stromes hierzulande aus Erneuerbaren Energien kommen.
Fazit
Nach dieser Kakophonie haben wir uns eine Sommerpause von Anne Will wirklich redlich verdient.