Sarrazins "Europa braucht den Euro nicht" Bitte regen Sie sich jetzt auf

Provokateur Thilo Sarrazin wählt ein prunkvolles Ambiente, um sein neues Buch vorzustellen. Doch sein Auftritt vor der Presse provoziert vor allem Gähnen.

Warm war's im Saal des Nobelhotels Adlon in Berlin. Vielleicht deshalb haben die Journalisten ununterbrochen gegähnt. Vielleicht aber auch wegen Sarrazins knochentrockenem Aufzähl-Modus: "Erstens macht der Euro..., zweitens hat Griechenland..., drittens wird Deutschland...". Thilo Sarrazin, der ehemalige Finanzpolitiker, der die Sachbuchvermarktung erfolgreich zum Extremsport erklärt hat ("Sachlichkeit und PR sind kein Widerspruch"), hat sein neues Buch der Presse vorgestellt. Und "Europa braucht den Euro nicht" ist demnach in Form und Inhalt vor allem eines: ziemlich öde.

Nachdem das Vorgängerbuch "Deutschland schafft sich ab" mit seinen heftig umstrittenen Thesen und hingerechneten Tabellen das meistverkaufte Sachbuch des Jahres 2010 wurde, war es verständlich, dass dieser Mann, der sich von allen verkannt fühlt, nachlegen würde. Und weil das Thema "Migranten" sogar als Stammtischfutter vorerst abgefrühstückt scheint, ist nun der andere kleinste gemeinsame Aufregungsnenner dran: der Euro.

"Aufmerksamkeit... äh... Aufregung"

Sarrazins Einzug ist gespenstisch. Mit Personenschützer, ohne ein Wort, fast geräuschlos gleitet er zum Podium, setzt sich und hält das Buch zwischen sich und die zig Fotografen, die in größerer Zahl erschienen sind als ihre schreibenden Kollegen. "Die meisten Menschen denken in Bildern", wird Sarrazin später sagen. Um so mehr, je weniger sie von einer Sache verstünden. "Das wissen Diktatoren und Werbeleute" - und natürlich auch Sarrazin. Er scannt den Raum, jedes Gesicht, der Blick zuckt zwischen den Stuhlreihen, den Kameras am anderen Ende des Saales und den Fotografen, die mittlerweile vor der Tribüne sitzen. Und Sarrazin wird nicht aufhören zu scannen, bis die Veranstaltung vorbei ist.

Ein "Aufklärungsbuch" habe der Autor vorgelegt, "tiefgehend und fundiert“, lobt der eigens zur Vorstellung der Buchvorstellung angekarrte Finanzwissenschaftler und offenkundige "Sarrazinist" Stefan Homburg. Und er scheut nicht einmal den Vergleich mit Kant. Dann hebt Homburg mit beeindruckender Arroganz dazu an, auf den stern einzudreschen, dessen letzter Titel dieses "tiefgehende und fundierte" Buch zu einem "Skandal" stilisiert habe. Doch verhebt sich Homburg dabei und erntet schadenfrohes Lachen, als er von der "künstlich geschürten Aufmerksamkeit... äh... Aufregung" spricht. Da steigt Sarrazin ein bisschen das Blut in den Kopf. Aber vielleicht ist ihm auch einfach nur warm.

Homburg referiert genüsslich um die bereits vorab in den Medien umstrittenen Kernaussagen herum und freut sich über eine abstruse Ronald-Reagan-Anekdote, die er aus dem Buch zitiert. Ihm will aber auch so gar nichts einfallen, was er kritisieren könnte. Schließlich sehe er das "vollkommene Versagen der deutschen Finanzpolitik" genauso klar wie der Autor.

Jeder für sich selbst

Dann ist Sarrazin dran: Er drückt das Kreuz durch und fängt wieder von vorn an mit der Buchvorstellung. Die Zahlen hätten ihm verraten, dass die Währungsunion nichts bringe, und dass die deutsche Politik alles falsch mache. Es gebe "keinen Anlass für Vertrauen in die Politik". Ex-Kanzler Helmut Kohl und Jetzt-Kanzlerin Angela Merkel kriegen ihr Fett weg. Auch wenn Sarrazin die Regierungschefin diesmal, anders als im Buch, nicht mit Erich Honecker vergleicht. Wolfgang Schäuble scheint er besonders auf dem Kieker zu haben: Der Bundesfinanzminister kümmere sich lieber um Europa als um Deutschland.

Überhaupt Deutschland. Sarrazin kommt als kerzengerader Nationalist daher, ohne dass es jemand benennen darf. Jeder-für-sich-selbst fordert er wiederholt. In der Währungsunion "wird zusammengezwungen, was nicht zusammengehört". Und vor allem dürfe man nicht den eigenen Wohlstand gefährden, indem man die "undisziplinierten" Staaten in südlicheren Gefilden finanziere. In die betreffenden Länder reisen, müsse man zur Beurteilung der Zahlen übrigens nicht, sagt er auf Nachfrage. Und schließlich werden dann wieder charakterliche Unterschiede beschworen (wie beim letzten Buch), die Schweiz gelobt (wie beim letzten Buch), und am Ende steht: Sarrazin hat es schon immer so viel besser gewusst, wie dieses Land zu Freiheit, Reichtum und Vollbeschäftigung kommt.

Aufklärung im Sinne von Kant

Sarrazin, ein Menschenfreund? Zumindest innerhalb der Grenzen Deutschlands würde er wohl gern als solcher gesehen werden. Alles zu unserem Besten. Und weil die Zahlen so schrecklich langweilig und kompliziert sind, nimmt er uns die Rechnerei gern ab, präsentiert er uns seine Bilder, in denen wir denken sollen, weil wir von der Sache doch nichts verstehen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Und das nennt sein Kompagnon Homburg dann Aufklärung im Sinne von Kant. Nur wollte der damals nichts verkaufen.

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