Gastkommentar Zwei freie Tage für Muslime: So unspektakulär kann Gleichstellung sein

Ein Gastbeitrag von Asif Malik
Passanten fotografieren mit ihren Handys die "Happy Ramadan" Beleuchtung
Schleswig-Holstein ermöglicht künftig muslimischen Beschäftigten, Beamten und Schülern rechtlich abgesicherte Freistellungen am ersten Tag des Ramadanfestes und des Opferfestes (Symbolfoto)
© Bernd Kammerer / Action Press
Gleichstellung oder Unterwerfungsgeste? Zwei freie Tage für Muslime in Schleswig-Holstein sorgen für Debatten. Das zeige, wie tief die Gräben sind, meint unser Gastautor.

Zwei Tage im Jahr, mehr nicht. Doch die politischen Reaktionen klingen, als stünde die Republik vor einem Umsturz. Die Islamkritikerin Susanne Schröter erklärte bei Welt TV, dass Muslime doch bereits an christlichen Feiertagen freihätten und zusätzliche freie Tage eine "Schieflage" bedeuteten. Auf X legte sie nach: "Das ist nicht akzeptabel." Der AfD-Abgeordnete Martin Hess sah gar eine "Unterwerfungsgeste" gegenüber dem Islam und eine "Islamisierung" durch die CDU-geführte Landesregierung.

Asif Malik
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Der Autor

Asif Malik ist Dipl.-Betriebswirt und MBA. In Hamburg führt er als Unternehmer ein Immobilienmaklerbüro und eine Personalberatung. Ehrenamtlich engagiert er sich seit 20 Jahren im interreligiösen Dialog und ist Mitinitiator zahlreicher integrativer Projekte

Worte, die den nüchternen Kern des Vorgangs verdunkeln: Schleswig-Holstein hat mit dem Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) vereinbart, dass muslimische Beschäftigte, Beamte und Schüler künftig am ersten Tag des Ramadanfestes und des Opferfestes freigestellt werden können. Kein Bonusurlaub, keine neuen Feiertage – nur die rechtliche Absicherung einer Praxis, die vielerorts längst gilt.

Gerade diese Diskrepanz zwischen Realität und Deutung macht die Debatte so aufschlussreich. Ein Verwaltungsakt zur Gleichstellung wird zur kulturpolitischen Grundsatzschlacht aufgeblasen. Landesbildungsministerin Dorit Stenke (CDU) sprach bei der Vertragsunterzeichnung: "Menschen muslimischen Glaubens sind Teil unserer Gesellschaft. Das besiegeln wir mit diesem Vertrag." 

Vereinbarung in Schleswig-Holstein zielt nicht auf Sonderrechte, sondern auf Gleichstellung

Kaum war dies gesagt, erklang das vertraute Gegenmuster: Sichtbares muslimisches Leben gilt sofort als Sonderrecht. Dabei liegt der Fall umgekehrt: Christliche Feiertage sind staatlich garantiert, muslimische bislang nicht. Wer von Schieflage redet, verwechselt Mehrheitsschutz mit Parität.

Doch der Vertrag ist mehr als Symbolik. Er umfasst auch die Bildungsarbeit muslimischer Gemeinden. Der VIKZ erhält die Möglichkeit, eigene Bildungs- und Kultureinrichtungen zu betreiben, Imame auszubilden und langfristig islamischen Religionsunterricht anzubieten – unter denselben Voraussetzungen wie andere Religionsgemeinschaften: genügend Schüler, qualifizierte Lehrkräfte, staatliche Rahmenbedingungen. Damit verschiebt sich der Fokus: Nicht zwei freie Tage sind die eigentliche Zäsur, sondern die institutionelle Gleichstellung. Was Kirchen seit Jahrhunderten praktizieren, wird Muslimen nun rechtlich ermöglicht.

Die Kritik von Schröter, der Vertrag sei mit einem "sehr konservativen" Verband geschlossen worden, weist zwar auf eine reale Herausforderung hin, trifft jedoch nicht den Punkt, den Schröter und andere sehen. Der Staat sucht nach verlässlichen, organisierten Partnern. Liberale oder säkulare Initiativen sind meist zu klein, um als Ansprechpartner zu fungieren. Somit wird die Stimme der muslimischen Gemeinschaft institutionell von jenen geprägt, die die Organisationsmacht besitzen. Doch die Konsequenz kann nicht sein, Verträge zu verweigern. Sie muss lauten: mehr Pluralität, mehr Repräsentation, nicht weniger Anerkennung.

Die Aufregung verrät auch etwas über unseren Umgang mit Feiertagen. Wir behandeln sie fast ausschließlich als Besitzstand – als Plus an Freizeit. Dabei könnten sie auch als Ressource für Solidarität verstanden werden. Denkbar wäre ein Modell wechselseitiger Vertretung: Muslime übernehmen Dienste an Weihnachten oder Ostern, Nichtmuslime an Ramadan oder Opferfest. Kein Mehr an Urlaub, wohl aber ein Mehr an Fairness. Feiertage verlören damit ihren Charakter als identitäre Marker und würden zu sozialen Aushandlungsräumen.

Genau darin liegt die eigentliche Pointe. Schleswig-Holstein hat keinen Sonderstatus geschaffen, sondern Normalität. Der Vertrag verankert Rechte, die längst Praxis sind. Er eröffnet Perspektiven für Bildung, Religionsunterricht, institutionelle Anerkennung. Und er zwingt uns, über den Sinn von Feiertagen neu nachzudenken: Sind sie Grenzen zwischen Gruppen – oder Brücken zwischen ihnen?

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Heftigkeit der Reaktionen zeigt, dass wir uns diese Frage noch nicht beantworten wollen. Weihnachten, Ramadan, Ostern – sie stehen nicht gegeneinander. Sie entfalten ihre Kraft erst, wenn sie auch den anderen etwas bedeuten. Schleswig-Holstein hat nun einen Versuch gewagt. Die eigentliche Provokation liegt somit in der Nüchternheit dieses Vorgehens, in der Tatsache, dass Gleichstellung so unspektakulär sein kann.

rw

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