Schulreform in Thüringen Bürgermeinung unerwünscht

  • von Sebastian Kemnitzer
Herzstück Schulreform: In Hamburg erteilten die Bürger der Schulreform eine brüske Absage. In Thüringen soll nun die Gemeinschaftsschule kommen - die Bürger sollen nicht gefragt werden.

Thüringen ist in Sachen Bildung ganz vorne mit dabei: Rang zwei in einem aktuellen Bildungsranking, noch vor den Schwergewichten aus dem Süden, Bayern und Baden-Württemberg. Trotzdem sind die Verantwortlichen im Land anscheinend nicht von ihrem System überzeugt. Die große Koalition plant für den Herbst eine Schulreform, die in Teilen schon angelaufen ist. Doch auch in Thüringen ist das Vorhaben umstritten. Die einen sind dafür, die anderen dagegen. Im Land tobt ein politischer Dreikampf.

Mittendrin ist die SPD und ihr Vorsitzender Christoph Matschie, gleichzeitig Kultusminister. Matschie zog mit der Idee einer Gemeinschaftsschule 2009 in den Wahlkampf. Bei der Wahl blieb nur Platz drei für die Sozis, trotzdem konnten sie sich den Koalitionspartner aussuchen. Sie wählten die CDU und bestanden darauf, die Gemeinschaftsschule im Koalitionsvertrag festzuschreiben. "Die Koalitionspartner schaffen die Voraussetzungen für die gleichberechtigte Etablierung der Thüringer Gemeinschaftsschule" steht nun da.

Acht Jahre gemeinsames Lernen soll die neue Schulart beinhalten. Die anderen Schulformen bleiben bestehen. Künftig sollen Eltern und Schulträger vor Ort wählen, welchen Weg die Kinder nehmen. "Wir setzen auf das Prinzip der Freiwilligkeit, wollen nichts von oben durchsetzen", schwärmt Matschie. Eine Pilotphase mit sechs Schulen ist gerade gestartet, im neuen Schuljahr 2011/12 soll es richtig losgehen. Laut Aussage von Matschie stehen Interessenten für die neue Schulform bereits Schlange.

Eigene Partei, CDU und die Linke machen Druck

Doch ob die Reform wirklich kommt, ist ungewiss. Wie stern.de erfuhr, ist Matschie in den eigenen Reihen nicht mehr unumstritten. Speziell wegen der Schulreform, die er alleine stemmen will, ohne die Genossen mit einzubinden oder ausreichend zu informieren. Auch der Koalitionspartner, die CDU, fühlt sich überrumpelt, insbesondere die Fraktion entdeckt nach einem Jahr Kuschelphase in der Koalition eine neue Kampfeslust. "Es verbietet sich, ein Schulgesetz nach Gutdünken zu stricken, nur weil Politiker neu an der Macht sind", sagt Mike Mohring, Fraktionsvorsitzender der CDU, stern.de.

Mohring und seine Fraktion wollen die Regelschule in Thüringen zur Oberschule weiterentwickeln. Eigentlich findet die CDU aber das Schulsystem ganz gut, so wie es ist. Kein Wunder, schließlich zeichnet die Partei dafür verantwortlich. Als möglichen Kompromiss schlägt die CDU vor, dass beide Vorschläge Eingang in das neue Schulgesetz finden. Minister Matschie erteilt dem Angebot eine klare Absage. "Es wird nicht zwei konkurrierende Modelle im Gesetz geben. Ich erwarte, dass sich Mohring an den Koalitionsvertrag hält", sagt Matschie. "Schließlich hat auch er ihn unterschrieben."

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. In Thüringen heißt der Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der Linken. Mit 27,4 Prozent der Stimmen bei den letzten Wahlen fühlt sich die Linke als Regierungspartei in spe. Mit einem Ramelow, der selbstbewusst, wie ein kommender Ministerpräsident auftritt. "CDU und SPD blockieren sich doch", sagt Ramelow stern.de. "Deswegen schlagen wir einen Volksentscheid vor - die Thüringer sollen sagen dürfen, was sie wollen."

Bürger wollen die Gemeinschaftsschule

In diesem Zusammenhang sprechen die Umfragen bisher eine deutliche Sprache. Rund 70 Prozent der Bürger im Land wollen eine Gemeinschaftsschule, wollen, dass die Kinder acht Jahre gemeinsam lernen. "Deswegen möchten wir noch in diesem Jahr ein Gesetz verabschieden, dass dieser Meinung Rechnung trägt", sagt Matschie. Ein Volksbegehren müsste aus dem Volk selbst kommen - "dann bin ich der Letzte, der etwas dagegen hat", sagt Matschie. Momentan schaut es aber danach nicht aus. Ein Bildungsexperte der SPD-Fraktion hält den Vorschlag der Linken für "Populismus pur", die CDU bezeichnet ihn als "unbrauchbar".

Bisher aus dem Konflikt rausgehalten hat sich Christine Lieberknecht (CDU), die nach einem Jahr als Ministerpräsidentin noch um ihre Hausmacht kämpft. Sie scheint sich ihren Stil von Angela Merkel abgeschaut zu haben: Lass die Männer sich austoben und profitiere selbst am meisten davon. Allerdings muss Lieberknecht darauf achten, dass der politische Dreikampf in Thüringen nicht die Koalition gefährdet. Ein Blick gen Norden hilft: Die Hamburger Politiker wissen, welch hohe Wellen eine Schulreform schlagen kann.

Von Sebastian Kemnitzer