Fragen und Antworten So könnten Abtreibungen in Deutschland künftig geregelt werden

Am Internationalen Frauentag im März wurde in Berlin auch für das Recht auf eine entkriminalisierte Abtreibung demonstriert
Am Internationalen Frauentag im März wurde in Berlin auch für das Recht auf eine entkriminalisierte Abtreibung demonstriert
© IPON / Imago Images
Ein Jahr lang hat eine Kommission über das geltende Abtreibungsrecht beraten, eingesetzt hat sie die Ampelkoalition. Das Gremium schlägt gleich mehrere grundlegende Änderungen vor.

Es sind gleich mehrere Themen mit sozialer Sprengkraft, derer sich ein Fachgremium angenommen hat: Abtreibung, Eizellspende und Leihmutterschaft. Ersteres steht in Deutschland im Strafgesetzbuch, ist in Teilen aber straffrei, letzteres ist bislang nicht erlaubt. Nun schlägt eine von der Ampelregierung eingesetzte Kommission in einem Bericht "zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" Änderungen vor. Der Kurzbericht liegt dem stern vor.

Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen zu stärken. Den Paragrafen 219a zu öffentlichen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche hat die Regierung bereits gestrichen. Offen bleibt derzeit, wie mit dem Paragrafen 218 umgegangen wird, der Abtreibungen im Strafgesetzbuch verankert. Auch wenn die Regierung die Kommission eingesetzt hat, ist alles andere als klar, ob die Vorschläge so umgesetzt werden.

Wie sind Abtreibungen derzeit in Deutschland geregelt?

Abtreibungen sind in Deutschland verboten. Bis zur zwölften Woche kann eine Schwangerschaft aber straffrei abgebrochen werden, wenn eine betroffene Person eine vorherige Beratung und drei Tage Wartezeit nachweisen kann. Ist die Schwangerschaft weiter fortgeschritten, kann eingegriffen werden, wenn das körperliche oder mentale Wohl der Schwangeren bedroht ist oder wenn eine Vergewaltigung zu der Schwangerschaft führte. Mehr Informationen für Betroffene gibt es unter anderem hier.

Abtreibungen sind keine seltenen Eingriffe, insgesamt geht die Zahl jedoch zurück. Rund 100.000 Abbrüche werden jedes Jahr durchgeführt, 2022 waren es 104.000 erfasste Fälle.

Welche neuen Regeln empfiehlt die Kommission?

Der wichtigste Satz lautet wohl: "In der Frühphase der Schwangerschaft [...] sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Frau erlauben (Rechtmäßigkeit und Straffreiheit)." Sobald ein Fötus eigenständig lebensfähig sei, sollten Abbrüche verboten bleiben. Nach medizinischen Erkenntnissen ist dies ab der 22. bis 24. Woche der Fall.

Außerdem empfehlen die Expertinnen, Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen zu stärken und bis zu einem höheren Alter kostenfreie Verhütungsmittel zur Verfügung zu stellen, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Auch die Pflicht zur Beratung vor einem Abbruch wird infrage gestellt. Bleibe es bei der Beratungspflicht, müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, dass keine Verzögerungen entstehen, die die Schwangere unverhältnismäßig belasten, heißt es in dem Bericht.

Wer sitzt in dieser Kommission?

Dem Gremium gehören insgesamt 18 Expertinnen und Experten aus Medizin, Psychologie, Soziologie, Ethik und Recht an. Mit dem Thema Abtreibung beschäftigten sich neun Expertinnen. Eigentlich sollte der Abschlussbericht erst am Montag vorgestellt werden, doch erste Ergebnisse drangen bereits durch. Zuerst hatte der "Spiegel" berichtet.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die Vorschläge im Bericht orientieren sich am geltenden Europa- und Völkerrecht, dem Verfassungsrecht sowie medizinischen und moralischen Maßstäben.

Wie wahrscheinlich ist es, dass diese neuen Regeln umgesetzt werden?

Das Gesundheits- und das Familienministerium äußerten sich auf Anfrage der Nachrichtenagentur DPA zunächst nicht und verwiesen auf die Vorstellung der Empfehlungen. Auch Mitglieder der Regierungsparteien waren auf stern-Anfrage nicht zu einer Stellungnahme bereit. Die grüne Familienministerin Lisa Paus hatte in der Vergangenheit mehrfach angedeutet, sich eine Neuregelung vorstellen zu können.

Wann und ob die Vorschläge umgesetzt werden, ist unklar. Auch wenn das Selbstbestimmungsrecht von Frauen im Koalitionsvertrag verankert ist, scheint die Ampel derzeit vor dem Thema zurückzuschrecken. Die Union kritisierte den Zeitpunkt. So warnte CDU-Chef Friedrich Merz Bundeskanzler Olaf Scholz davor, "einen weiteren gesellschaftlichen Großkonflikt in dieses Land hineinzutragen". Auch eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht sei eine Option, so der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

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© Carolin Albers / stern
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Wie stehen die Deutschen zum Thema Abtreibung?

Wie Deutschland das Recht von ungewollt Schwangeren regelt, treibt zum Internationalen Frauentag jedes Jahr Menschen auf die Straße. Sie fordern straffreie Eingriffe und eine medizinische Versorgung, die so niedrigschwellig wie möglich ist. Doch es gibt auch Proteste gegen das Recht auf Abtreibung, das Thema ist gesellschaftlich aufgeladen.

Dementsprechend kommen Umfragen zu teils widersprüchlichen Ergebnissen. Nach einer ZDF-Umfrage sagten 54 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr, ein Schwangerschaftsabbruch solle weiterhin als Straftat gelten, aber nicht geahndet werden. Vor allem Frauen und Personen unter 30 Jahren sprachen sich dafür aus, den Paragrafen 218 abzuschaffen. 

Eine weitere Umfrage – durchgeführt vom Marktforschungsinstitut Ipsos im Auftrag des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung – kam zu einem anderen Ergebnis. Hier forderten 55 Prozent, den Paragrafen ersatzlos zu streichen und insgesamt 91 Prozent sprachen sich (zum Teil mit Bedingungen) für eine Entkriminalisierung aus.

Dass andere Staaten ihre Gesetzgebung zur Frauengesundheit neu regeln, rückt das Thema auch in Deutschland mehr in die Öffentlichkeit. Das höchste Gericht der USA kippte 2022 ein Grundsatzurteil zum Thema Abtreibung. Seitdem wird die geltende Gesetzgebung den Bundesstaaten überlassen, von denen etwa die Hälfte den Eingriff verbot oder erheblich einschränkte. Frankreich wiederum verankerte das Recht auf Abtreibung vor einem Monat in der Verfassung.

Weitere Quellen: Kurzbericht der Kommission (liegt dem stern vor), mit Informationen der DPA, RND, Statistisches Bundesamt, Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung

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