SPD-Parteitag Des Kanzlers Überlastung

Umfrage- und Stimmungstief, die Agenda 2010 und die Diskussion um den "Demokratischen Sozialismus" - beim heute beginnenden SPD-Parteitag gibt es viel zu debattieren. Skurriles gehört auch dazu.

Der SPD-Unterbezirk Marburg-Biedenkopf ist besorgt: "Wir fordern Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, sich in seinem Amt als Parteivorsitzender stärker als bisher um die SPD zu kümmern und bei seinen politischen Aufgaben das Wohl der Partei in den Mittelpunkt zu rücken", fordern die Genossen aus Nordhessen in einem Antrag für den Bochumer Parteitag. Die Empfehlung der Antragskommission lautet - eigentlich nicht ganz logisch - "Ablehnung".

Der Kanzler ist einseitig überlastet

Auch andere Teile der Basis halten den Kanzler für einseitig überlastet. "Vorsitzender der SPD kann nur sein, wer nicht gleichzeitig Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist", will der Distrikt Harburg-Mitte vom SPD-Kongress beschließen lassen. Damit steht er nicht allein: Auch die Sachsen-Anhalter Ortsvereine Schmerzach/Rösa und Dessau sowie Marienburger Höhe aus Schröders Heimatkreis Hannover glauben, dass eine solche Trennung von Amt und Mandat der SPD gut täte. Chancen, damit durchzukommen, haben die Initiatoren aber nicht.

Im 533 Seiten dicken Antragsbuch finden sich auch Menge eher skurriler Vorschläge. Dazu gehört etwa Antrag 390: "Der Norddeutsche Rundfunk wird aufgefordert, die Darstellung einer HIV-positiven Person in Form der Puppe Kami in den deutschen Folgen der Sesamstraße aufzunehmen. Dazu wird eine bundesweite Unterschriftenkampagen initiiert", lautet die Forderung der Jungsozialisten. Die Antragskommission verstand das wohl als reinen Jux und plädiert auf "Nichtbefassung".

Zumindest zur weiteren Beratung an die Bundestagsfraktion überwiesen werden soll dagegen das Anliegen aus Nordhessen für eine "soziale Marktwirtschaft bei Fußball-Millionarios". Geht es nach den Antragstellern soll der Parteitag mit Empörung "die ausgerechnet vom Bundesliga-Oberpöbler Uli Hoeness" aufgestellte Forderung ablehnen, der Staat solle Not leidenden Vereinen beispringen.

Bier- und Sektsteuer abschaffen

Auch aus Hessen-Süd kommen ganz besondere Anliegen. So will der Unterbezirk Frankfurt am Main durchsetzen, dass die Bestimmung des Prostata-spezifischen Antigens (PSA) künftig von den Kassen bezahlt wird. Auf mehr Zuspruch dürfte dagegen der Antrag der SPD aus Pinneberg stoßen, die Bier- und Sektsteuer abzuschaffen.

Einige Unzufriedenheit mit der eigenen Führung wird auch in anderen Anträgen zu Protokoll gegeben. "Viele Wähler sehen in der Sozialpartei SPD nur noch die Sozialabbau-Partei", beklagt der Unterbezirk Ostallgäu. "Die gute alte SPD muss klären, wen sie vertritt", meint der nordrhein-westfälische Ortsverein Kerken.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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An der Basis nicht gut angekommen ist auch die These von Generalsekretär Olaf Scholz, wonach man sich den Begriff "demokratischer Sozialismus" im neuen SPD-Programm sparen kann. Diese 25 Buchstaben dürften auf keinen Fall der "Zeitgeist-Laune" zum Opfer fallen, stellt ein knappes Dutzend Ortsvereine fest. Auch die von der SPD-Spitze noch zäh verteidigte Wehrpflicht ist für die Mitgliedschaft kein Tabu mehr, wie sich aus vielen Anträgen selbst größerer Bezirke ergibt.

"Eine Frage des guten Willens"

Wenigstens einmal kann ein Basis-Vorschlag in Bochum aber mit Zustimmung rechnen: "Anträge und Beschlüsse sollen in einer allgemein verständlichen Sprache abgefasst werden. Häufig ist das nur eine Frage des guten Willens", glaubt der Ortsvereins Leiferde im Bezirk Braunschweig. "Annahme" lautet dafür die Empfehlung.

Joachim Schucht