Drei Sekunden, sagt Walter Schels. Kein Mensch kann für ein Foto länger ehrlich lachen als drei Sekunden. Danach erstarrt jedes Gesicht zur Maske. "Muss ich lachen?", hat Angela Merkel ihn gefragt. Da hat er nein gesagt, und sie schien darüber froh zu sein. "Wahlkampf ist doch eine ernste Sache", sagt Schels. Mitten in der heißen Phase dieses kurzen Wahlkampfes hat der stern den Spitzenkandidaten der Parteien einen Moment der Ruhe verordnet, um sie zu porträtieren - ihr Gesicht und ihre Hände. Für ein paar Minuten mal nicht reden, nicht lachen, einfach schauen. Der Fotograf Walter Schels, 69, hat diese Augenblicke eingefroren in seinen, wie er es nennt, "Blickkontakten" und "Handporträts".
Herausgekommen sind Blicke auf die Kandidaten, wie man sie in diesem Wahlkampf nicht gesehen hat, obwohl Schröderfischermerkellafontaine seit Wochen omnipräsent sind. "Man muss die Oberfläche durchbrechen, das Private zeigen", sagt Schels über das Geheimnis seiner Bilder. Privat in seinem Sinne - das ist nicht das Bild am Küchentisch und nicht der Schnappschuss durch die Hecke. Privat ist Nähe. Schels geht nah ran. So nah, bis das Gesicht zur Landschaft wird. So nah, wie man sich selbst sonst nur im Spiegel sieht. "Der Abstand ist eigentlich unanständig", sagt Schels, "nicht einmal dem eigenen Partner kommt man so nah - und wenn, nur mit geschlossenen Augen."
Doch der stern wollte seinen Lesern nicht nur ermöglichen, den Spitzenpolitikern in die Augen sehen zu können, sondern auch auf ihre Hände. Schels Fotos zeigen buchstäblich, in welche Hände wir am Sonntag die Geschicke dieses Landes legen. Vor der öffentlichen Hand steht diesmal die veröffentlichte. Darum hat Schels auch die Hände der Politiker porträtiert. "Keine Hand gleicht einer anderen. Jede einzelne ist so einmalig wie das Gesicht", sagt der Fotograf.
Auch sie zeigen eine individuelle Landschaft, etwas sehr Privates eben. Darum hat er die Veröffentlichung dieser Bilder bisher eher vermieden. "Ich möchte nicht, dass jemand unseriöse Handleserei betreibt, vorschnell auf den Charakter schließt oder gar Prognosen für die Zukunft macht", sagt Schels. Dies sei eine ernste Sache, zu ernst für Scharlatanerie. Für den stern macht er nun eine Ausnahme.
Seit langem gehört der gebürtige Bayer, der in Hamburg lebt, zu den profiliertesten Porträtfotografen der Gegenwart. Ein Projekt von ihm hat besondere Aufmerksamkeit erfahren: Über ein Jahr verbrachte er in verschiedenen Hospizen, porträtierte Todgeweihte kurz vor und kurz nach dem Sterben. "Noch mal leben vor dem Tod", hieß das vielfach ausgezeichnete Projekt.
Walter Schels
hat viele hundert Gesichter fotografiert, von Prominenten und Popstars, von Babys und Tieren und von Politikern. Ganz egal, ob Gesichter, Hände, Füße oder Ohren - für alle seine Porträts gilt: am liebsten Schwarz und Weiß, nur Licht und Schatten, nichts als porentiefe Schärfe. "Einfach einfach" sollen seine Bilder sein, sagt Schels. Zwei Stühle braucht er dazu, zwei Blitzlampen, ein schwarzes Tuch als Hintergrund und seine alte Hasselblad-Kamera. Mehr nicht. Und doch entstehen so beeindruckende Bilder.
Ob die stern-Leser sie gut finden werden? Drei Sekunden, sagt Walter Schels. Ein Bild ist dann gut, wenn man es länger betrachtet als drei Sekunden. Testen Sie selbst.