Kinder aus der Mittel- und Oberschicht nutzen Computer, der Nachwuchs in bildungsfernen Elternhäusern vor allem Spielkonsolen und Gameboys: Der Gebrauch von Medien hat nach den Worten des Jugendforschers Klaus Hurrelmann viel mit der sozialen Herkunft zu tun. Hurrelmann ist Autor der World-Vision-Studie "Kinder in Deutschland 2010", die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.
Die Untersuchung ergab, dass ein Fünftel der Sechs- bis Elfjährigen in eher prekären Verhältnissen lebt und die eigene Zukunft wenig optimistisch sieht. "Kinder in Deutschland leben in einer Vier-Fünftel-Gesellschaft", sagte Hurrelmann. Die Kluft zwischen den vier Fünfteln der Kinder, die in stabilen und geordneten Verhältnissen aufwüchsen, und dem restlichen Fünftel habe sich seit der letzten Studie aus dem Jahr 2007 noch vergrößert. Letzteren fehle der Glaube daran, sie könnten durch eigenes Handeln etwas verändern. Sie seien noch im Grundschulalter, hätten sich aber bereits aufgegeben.
Kindergeld beugt Armut vor
Auch der Familienreport 2010 der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) stellt Zusammenhänge zwischen der Familiensituation und den Chancen der Kinder her. Dem Report zufolge ist das Armutsrisiko bei Familien besonders hoch, in denen die Kinder bei nur einem Elternteil aufwachsen. Mittlerweile wächst jedes sechste Kind in Deutschland nur bei der Mutter oder dem Vater auf. 1998 war es nur jede siebte Familie, in der ein Elternteil allein für die Erziehung hauptverantwortlich ist, 2008 war dies in jeder fünften Familie der Fall. 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Besonders hoch ist der Anteil der Alleinerziehenden in Ostdeutschland: Hier ist fast jede vierte Familie alleinerziehend, in Westdeutschland dagegen weniger als jede sechste.
Familienministerin Schröder sieht den Report als einen Beleg dafür, dass staatliche Fördermaßnahmen unverzichtbar sind. "Familienleistungen und Sozialtransfers tragen erheblich zur Reduzierung von Armutsrisiken bei", heißt es in einer Stellungnahme ihres Ministeriums. "Ohne die staatlichen Leistungen wären in Deutschland etwa doppelt so viele Kinder armutsgefährdet." Das Kindergeld beispielsweise habe für mehr als 1,7 Millionen Kinder eine armutsreduzierende Wirkung.
Kinder aus der Unterschicht spielen viel am Computer
Ob Familien arm oder reich sind, zeigt sich auch in der Mediennutzung der Kinder und Jugendlichen. Als auffällig bewertete die World-Vision-Studie hierbei die Veränderungen im Vergleich zu 2007. Hatten damals 36 Prozent der Acht- bis Elfjährigen ein eigenes Handy, waren es diesmal 47 Prozent. Das Fernsehen stehe zwar immer noch auf Platz eins der meistgenutzten Medien, aber "Internet und Handy holen kräftig auf", sagte Hurrelmann. Dabei haben vor allem Kinder der Ober- beziehungsweise oberen Mittelschicht Zugang zum Internet - nämlich 63 Prozent. In den unteren Schichten sind es nur 41 Prozent. Hier sind nach Hurrelmanns Worten eher Medien wie Spielkonsolen, Gameboys oder auch das Fernsehen von Bedeutung. Kinder aus gut situierten Familien nutzen dagegen bevorzugt Kassettenrekorder, CD-Player oder das Radio neben Computer und Internet. "Das hat etwas damit zu tun, ob man sich nur unterhalten lassen will oder aktiv etwas aus dem Medium rausziehen will", erklärte der Jugendforscher.
Bei der Freizeitgestaltung kristallisieren sich in der Studie drei Gruppen heraus: Die normalen Freizeitler (52 Prozent), die alles Mögliche machen, die Vielseitigen (24 Prozent), die sich zusätzlich zahlreichen musisch-kulturellen Aktivitäten widmen, und die Medienkonsumenten (24 Prozent). Letztere sind vor allem Jungen und überwiegend aus unteren sozialen Schichten. In der Mehrheit der Familien gelten Regeln für die Mediennutzung. Immerhin erklärten 24 Prozent der Kinder, dass sie tagsüber fernsehen, Computer oder Spielkonsole spielen dürften, wann immer sie wollten. Darunter war der Anteil der sogenannten Medienkonsumenten höher als der der normalen Freizeitler oder der Vielseitigen. Zugleich gaben die Kinder, für die es keine klaren Regeln beim Medienkonsum gelten, häufiger als andere an, es gebe immer wieder Streit mit den Eltern über die Dauer der Mediennutzung. Auch Kinder, die ihren Eltern ein Zuwendungsdefizit bescheinigen, hatten häufiger Streit zu Hause wegen des Computerspielens oder Fernsehens.
"Zu Zuwendung gehört auch Kontrolle", erklärte Hurrelmann. "Erziehen ist eine Beziehung", in der Regeln definiert würden. Kindern keine freie Bahn zu lassen, sei für diese auch ein Signal: "Der Andere nimmt mich ernst." Dass gerade Familien aus unteren - und damit finanziell oft nicht sehr gut gestellten - Schichten viel Geld für Spielkonsolen, Gameboys etc. für ihre Kinder ausgäben, zeigt nach Ansicht Hurrelmanns die Hilflosigkeit vieler Eltern im Umgang mit der Sehnsucht ihrer Kinder nach Unterhaltungsmedien.
Zuwendung der Eltern ist dabei aus Kindersicht sehr wichtig, aber nicht ständig erwünscht - lieber zeitweise und dann intensiv. "Das dürfte alle berufstätigen Eltern erleichtern", sagen Hurrelmann und Andresen. Die Studie belegt den Trend weg von der Ein-Mann-Verdiener-Familie (40 Prozent) zur doppelten Berufstätigkeit (51 Prozent). "Das wirkt sich aber nicht auf die Zufriedenheit der Kinder aus. Im Gegenteil: Die Kinder wünschen sich Eltern, die sozial integriert sind. Über zu wenig elterliche Zuwendung beklagen sich hingegen öfter Kinder, deren Eltern arbeitslos sind und wenig Struktur im Alltag bieten."

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Kinderbetreuung weiterhin problematisch
Positiv bewertete Hurrelmann, dass inzwischen mehr Kinder Ganztagsschulen besuchen und damit ganz offensichtlich auch zufrieden sind. Hier fordert er weiteres politisches Engagement: Die Gesellschaft könne es sich nicht leisten, Kinder einfach aufzugeben.
Aus dem Familienreport des Familienministeriums lässt sich ein Problem bei der Kinderbetreuung erkennen: Deutsche Großeltern verbringen laut der Studie mit der Kinderbetreuung doppelt so viel Zeit wie skandinavische Großeltern. Die Betreuung durch Oma und Opa ermöglicht vielen Müttern zum Einkommen der Familie beizutragen. Der Anteil der Frauen, die Hauptverdienerin einer Familie sind, stieg in Westdeutschland innerhalb von 15 Jahren von sieben auf elf Prozent und in Ostdeutschland von elf auf 15 Prozent. Die Berufstätigkeit beider Elternteile ist laut dem Bericht die beste Versicherung gegen Armut der Kinder. Das größte Risiko besteht naturgemäß in Haushalten mit einem Verdiener, der nur Teilzeit arbeitet.
Die Sparzwänge machen die Pläne der Familienministerin zunichte, die Betreuungssituation zu verbessern. Die geplanten zwei zusätzlichen Vätermonate werden nicht eingeführt. Jeder fünfte Vater nehme mittlerweile Partnermonate in Anspruch, darunter überproportional viele Väter in Führungspositionen. Vor der Einführung hätten nur 3,5 Prozent der Väter eine berufliche Auszeit für die Kinderbetreuung genommen. Auch auf das Teilelterngeld, das bis zu 28 Monaten gezahlt werden sollte, müssen Familien verzichten. An der derzeitigen Obergrenze des Eltergeldes von 1800 Euro dürfe nicht gerüttelt werden, so Schröder. Zudem betonte sie, sie halte an dem Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kleinkinder ab 2013 fest.