Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will im Falle eines Terrorangriffs aus der Luft den Abschuss eines unbemannten oder nur mit Terroristen bemannten Flugzeugs ermöglichen. Die SPD sei sich mit der Union über die Klarstellung einig, dass die Bundeswehr "bei der Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle mit militärischen Mitteln Amtshilfe leisten kann, wenn die Polizei über diese Mittel nicht verfügt", sagte die SPD-Politikerin der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse". "Das betrifft zum Beispiel den Abschuss eines unbemannten oder nur mit Terroristen bemannten Flugzeuges", erläuterte sie. Die verfassungsrechtliche Lage sei nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz eindeutig: "Es ist verboten, Leben gegen Leben abzuwägen", sagte die Justizministerin. Die SPD habe eine glasklare Position" zum Einsatz der Bundeswehr im Innern: "Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei und soll es auch nicht werden."
Jung verteidigt seine Pläne
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dagegen sieht ohne die Möglichkeit zum Abschuss von entführten Passagierflugzeugen die Sicherheit des Landes in Gefahr. Ohne eine solche Möglichkeit wäre die Bundesrepublik bei einem Terrorangriff "wehrlos", hatte der Minister am Mittwoch in einer hitzigen Debatte im Bundestag gesagt. Erneut forderte er eine Änderung des Grundgesetzes. Die SPD ging auf Distanz. Jungs Äußerung, sich im Notfall auf übergesetzlichen Notstand zu berufen, sei ein Schaden für die Koalition. Grüne und Linke forderten den Rücktritt des Ministers.
Die Aktuelle Stunde im Bundestag war von der FDP beantragt worden, nachdem Jungs Äußerungen über einen Abschuss-Befehl schon seit dem Wochenende für Diskussionen sorgt. Der Verteidigungsminister sagte, Angriffe auf das Gemeinwesen dürften nicht außerhalb der Rechtsordnung, sondern müssten mit ihren Mitteln bekämpft werden. Eine solche Extremsituation wäre eine enorme Gewissensbelastung für die Verantwortlichen. "Ich wünsche mir, dass ich persönlich nicht in eine solche Entscheidungssituation kommen würde."
Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold sagte: "Man soll nicht über Dinge reden, die nicht geregelt werden können." Sein Fraktionskollege Hermann Scheer nannte es verfassungswidrig, das Leben Unschuldiger gegeneinander abzuwägen. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Hans-Peter Uhl, beharrte hingegen darauf, dass der Staat handeln müsse. Die Tragik sei, dass es bei einem solchen Angriff von Terroristen auf jeden Fall Tote geben werde.
FDP-Chef Guido Westerwelle rief dem Minister zu: "Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das Abschießen von unschuldigen Menschen in Passagiermaschinen unzulässig ist, weil es gegen die Menschenwürde und das Recht auf Leben verstößt." Der Grünen-Politiker Hans- Christian Ströbele nannte Jung nicht nur "eine Gefahr für die Truppe, sondern für die Bundesrepublik Deutschland und die Passagiere, die sich in ein Flugzeug setzen".
Regierungssprecher Ulrich Wilhelm warb angesichts der hitzigen Debatte um Verständnis für den Entscheidungsprozess. Eine aus drei Parteien bestehenden Regierung müsse die Möglichkeit haben, sachlich, sorgfältig und ohne Zeitdruck eine Lösung zu finden für ein rechtlich, moralisch und ethisch kompliziertes Thema. Entweder komme es zu einem Gesetz, das dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht werde, oder die Regierung entscheide sich für den Weg, dass für solche Extremfälle der übergesetzliche Notstand gelten solle.
Karlsruhe hatte im Februar 2006 den Passus im rot-grünen Luftsicherheitsgesetz gekippt, womit der Abschuss einer von Terroristen als Waffe missbrauchten Passagiermaschine ermöglicht werden sollte. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Stefan Kaller, bekräftigte, dass es in seinem Haus seit geraumer Zeit Vorstellungen für eine rechtliche Lösung gebe. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) möchte eine neue Verfassungsnorm einführen, um den Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Terrorabwehr zur ermöglichen. Zugleich versicherte Kaller, der Abschuss-Debatte lägen keine aktuellen Anschlagdrohungen zugrunde.

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SPD-Fraktionschef Peter Struck warf in der "Stuttgarter Zeitung" (Donnerstag) Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, im Streit über die Äußerungen Jungs und Schäubles abzutauchen. "Das irritiert mich." Schäuble hatte erst vor wenigen Tagen vor der Gefahr eines Anschlags mit nuklearem Material gewarnt. Auf Antrag der Grünen wird dies am (morgigen) Donnerstag Thema einer Aktuellen Stunde im Bundestag sein. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU), warnte den Koalitionspartner in der "Netzeitung": "Die Art und Weise wie Jung und Schäuble von der SPD kritisiert werden, ist zum Teil unerträglich und kann zu einer echten Belastung für das Koalitionsklima werden."
Bundeswehrverbandschef Bernhard Gertz zeigte zwar angesichts der Terrorgefahr Verständnis für Jung. Ein "finaler Rettungstotschlag" erscheine aber angesichts des Urteils verwegen. Die Piloten seien gehalten, bei erkannter Rechtswidrigkeit Befehle nicht auszuführen. Eine klare Mehrheit der Bundesbürger ist gegen den Abschuss von Passagiermaschinen im Terrorfall. 73 Prozent lehnen dies nach einer Forsa-Umfrage für den Nachrichtensender n-tv ab.