Am Freitagabend versetzten wir einige Staatssekretäre und Spindoktoren in erhöhte Stressgrade, mit einer Recherche zur Skandalbank HRE.
Inzwischen weiß es jeder: Der so genannte Lenkungsausschuss des staatlichen Bankenrettungsfonds Soffin genehmigte am Freitag der HRE (Hypo Real Estate) Garantien in Höhe von 40 Milliarden Euro – zusätzlich zu den schon Ende 2008 gewährten 102 Milliarden. Ohne diese frischen Garantien wäre das Institut erneut von der Pleite bedroht gewesen, so lautete ausweislich sehr glaubwürdiger Quellen die interne Begründung.
Gewiss, es geht nicht um konkrete Überweisungen, sondern nur um Garantien. Die Summen würden dann fließen, wenn die Pleite wirklich einträte, die man verhindern will. Allerdings wecken die trotz besserer Wirtschaftslage immer weiter steigenden Bürgschaftsbeträge für die HRE einen bösen Verdacht – den, dass die faulen Wertpapiere der 2009 verstaatlichten Bank faul bleiben. Und der Steuerzahler am Ende doch auf allen Risiken sitzen bleibt.
Darüber wollen Regierung und HRE aber ungern diskutieren. Und eigentlich sollte die Telefonkonferenz des mächtigen Lenkungsauschusses erst am Sonntag stattfinden, immer noch rechtzeitig vor der Börsenöffnung am Montag. Doch weil wir schon am frühen Freitagabend von der geplanten Stützungsaktion erfahren hatten und bei HRE und Bundesregierung offiziell nach fragten, brach dort – so hörten wir wiederum von internen Quellen - leichte Panik aus. Die Staatssekretäre von Finanz- und Wirtschaftsministerium, die mit weiteren Beamten aus Kanzleramt und Justizressort in dem Gremium sitzen, änderten prompt ihre Terminplanung und entschieden, die Garantien noch am selben Abend zu beschliessen.
Wegen der nervösen Finanzmärkte geschah diese Vorverlegung nicht. Die Börsen waren ja über das Wochenende geschlossen, Turbulenzen kaum zu befürchten. Es ging den Beamten darum, unserem Artikel zuvorzukommen.
Zwar erfuhren auch wir von dieser Terminänderung und veröffentlichten unsere Story darum noch am selben Abend auf stern.de, bevor der HRE-Beschluss gefallen war. Aber die Bankenretter erreichten eins: Es war vorab so gut wie keine Zeit mehr für eine öffentliche und ergebnisoffene Diskussion über das Für und Wider. Genau darum ging es offenbar bei der Vorverlegung – um die Deutungshoheit. Das Programm sah so aus: Beschluss noch am selben Abend, gleich darauf offizielle Pressemitteilung des Soffin. Bank gerettet, Klappe zu.
In unserer Meldung am Freitagabend hatten wir zusammen mit der brisanten Nachricht über die frischen 40 Milliarden Details publik gemacht, die offiziell offenbar unter dem Deckel gehalten werden sollten – etwa über das erneute Insolvenzrisiko der HRE. Das gefiel einigen der Bankenretter offensichtlich gar nicht. Kaum war unsere Story online, schwärmten sogleich die Spindoktoren aus und flüsterten den Agenturjournalisten ein, es sei alles gar nicht so schlimm, wie wir auf stern.de behauptet hatten. Und die Spindoktoren hatten offensichtlich einen gewissen Erfolg, wie man rasch nachlesen konnte.
Die 40 Milliarden seien eine Art „Geburtshilfe“ für die Bad Bank, in die die HRE ihre toxischen Papiere auslagern werde, titelte Reuters in Frankfurt am Samstag – ohne sich von dieser positiv-konstruktiv klingenden Version zu distanzieren. Eigentlich hatte sogar der Soffin offiziell eingeräumt, dass nur die Hälfte der neuen Garantie die angeblichen „Transaktionsrisiken“ bei der Befüllung der Bad Bank betraf. Aber Reuters zitierte „Insider“, die weitere sedierende Worte fanden: Die 40-Milliarden-Operation sei eine „reine Vorsichtsmaßnahme“.

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Im "Handelsblatt" wurden die Informationen über eine drohende HRE-Pleite ebenfalls als "Spekulationen" abqualifiziert. "Das ist kompletter Unsinn", zitierte das Blatt einen, der als "Beteiligter" vorgestellt wurde.
Merkwürdig agierte überdies die sich gern offiziös gebende Agentur dpa. 21 Minuten, nachdem stern.de eine ausführliche Vorabmeldung über die Stützungsaktion verbreitet hatte, versandte die Agentur eine Eilmeldung, in der sie die HRE-Rettung in vagen Worten ankündigte, aber lediglich unter Berufung auf „informierte Kreise“. Stern.de wurde in der dpa-Meldung gar nicht erwähnt. Erst später am Abend ließen die dpa-Journalisten unter Berufung auf stern.de einige unserer Informationen einfließen – Informationen, die den von dpa zitierten Kreisen wohl nicht gefallen haben.
Die neuen Schlagzeilen seien „längst nicht so dramatisch, wie sie auf den ersten Blick scheinen“, beruhigten schließlich zwei dpa-Schreiber am Sonntag in einem längeren Feature ihre Leser. Von der Zahlungsunfähigkeit, über die „spekuliert“ werde, sei die Bank „schon gar nicht bedroht“. So jedenfalls laute die „Aussage aus Bankenkreisen“.
Und jawohl, Bankenkreisen sollte man vertrauen. Das war doch auch eine Lehre aus der Finanzkrise. Oder war es nicht gerade umgekehrt? Und warum reichen der HRE eigentlich nicht die 102 Milliarden an bisherigen Garantien aus, um die Liquidität zu sichern? In einem Markt, der – noch einmal - sehr viel gefestigter da steht also vor zwei Jahren?
Solche Fragen allzu laut zu stellen, ist wahrscheinlich nicht so einfach, wenn man als Journalist im Tagesgeschäft mit den Spindoktoren und Presseeinflüsterern der Finanzbranche zu Rande kommen will. Da wird dann deren Spin vom Tage zum gültigen Faktum erklärt und alles, was dem widerspricht, zur „Spekulation“. Jedenfalls bis zur nächsten Bankenkrise.
Aber vielleicht sollten solche Meldungen dann einen Warnhinweis tragen: „Achtung, diese Nachricht beruht zum Teil auf Aussagen von Pressesprechern, die in der Vergangenheit gelegentlich überoptimistische Aussagen machten. Sich auf diese Meldung zu verlassen, gefährdet die Unabhängigkeit ihrer Meinungsbildung.“
Immerhin, nicht bei allen haben die Worte der Spindoktoren verfangen. Die "Süddeutsche Zeitung" bestätigte, dass die HRE in ihrem Hilfsantrag in der Tat eine drohende Pleite am Monatsende erwähnt hatte. Die nicht eben aufrührerische „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ konnte sich die Dringlichkeit der Stützungsaktion gar nicht anders erklären, als dass wirklich erneut die Insolvenz drohte – so wie wir das geschrieben hatten. Und der FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing, der schon im HRE-Untersuchungsausschuss als hartnäckiger Regierungskontrolleur aufgefallen war, fand ein passendes Resümee: „Die HRE ist ein schwarzes Loch. Das weiß jeder, der die Akten gelesen hat.“