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Lobbyismus Wie sich das Wirtschaftsministerium zum Büttel der Autoindustrie machte

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin
© Rolf Kremming / Picture Alliance
In einem neuen Prüfbericht rügt der Rechnungshof das Wirtschaftsministerium scharf. Bei der Einführung der Kaufprämie für Elektroautos sei die Behörde einseitig den Wünschen der Autoindustrie gefolgt und habe die Gebote der "Unbefangenheit und Neutralität" verletzt.

"Neuer Lobby-Skandal?", fragte die "Bild" am Donnerstag vergangener Woche. Gerade hatte der Bundesrechnungshof einen neuen Prüfbericht veröffentlicht. Der zeichnet nach, wie die Bundesregierung die Entscheidung über eine Kaufprämie für Elektroautos vorbereitet hatte. Und der Hof beschreibt im Detail, wie die deutsche Autoindustrie in den Jahren 2015 und 2016 "die Entscheidung der Bundesregierung zum Umweltbonus und zu dessen Ausgestaltung wesentlich beeinflusst" hatte.

Richtig ist: Was damals passierte, ist ein Skandal. Falsch ist, dass das alles neu wäre. Was jetzt der Bundesrechnungshof zusammenfasste, hatte der stern bereits vor zwei Jahren, im September 2016, publik gemacht. Wir hatten teils dieselben Akten zitiert, auf die sich jetzt auch der Rechnungshof stützte. Wir hatten sie uns über Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) bei mehreren Bundesministerien beschafft. Aber neu und einigermaßen ungewöhnlich ist, mit welcher Schärfe der Bundesrechnungshof jetzt insbesondere das damals von Sigmar Gabriel (SPD) geführte Wirtschaftsministerium als Büttel der Autoindustrie kritisiert – auch wenn sich Angela Merkels Kanzleramt mitgemeint fühlen dürfte.

Gebote der "Unbefangenheit und Neutralität" verletzt

Nach Ansicht des Rechnungshofs - und wohl auch der meisten Bürger - müssen Bundesministerien wie andere öffentliche Verwaltungen nach den Prinzipien der "Unbefangenheit und Neutralität" handeln. Diese in "der gebotenen Art und Weise" zu wahren, habe das Wirtschaftsministerium im Fall der Elektroauto-Prämie offenbar versäumt, so die Prüfer. Stattdessen habe das Ministerium den Vertretern "der Automobilindustrie einen unmittelbaren und bevorzugten Zugang zu Entscheidungsverfahren und entscheidungsrelevanten Informationen" verschafft. Und die Behörde habe nicht erklärt, "aus welchen sachlichen Erwägungen" sie sich "im Ergebnis für die von der Automobilindustrie bevorzugte Lösung entschieden" habe.

Starke Worte für den Rechnungshof, an dessen Spitze als Präsident mit Kay Scheller ein langjähriger Funktionär der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag steht.

Der Kernvorgang, wie ihn sowohl der stern vor zwei Jahren als auch der BRH jetzt beschrieb, ist rasch erzählt: Ursprünglich wollten die SPD-geführten Ressorts für Umwelt und Wirtschaft damals zwei Hebel ansetzen, um den Absatz von Elektroautos zu fördern: Erstens sollten die Autohersteller verpflichtet werden, jedes Jahr eine bestimmte Quote von E-Fahrzeugen zu verkaufen. Zweitens war eine Prämie von 5000 Euro für jeden Käufer von E-Autos angedacht – aber nicht finanziert aus dem allgemeinen Steuertopf, sondern durch eine Gebühr für Käufer von Benzin- und Dieselfahrzeugen. Zwischen 50 Euro für einen VW Golf TSI bis höchstens 1000 Euro für einen Porsche Cayenne wären fällig geworden – also ein sehr maßvoller Stinkerzuschlag.

Autoindustrie fürchtete "Stigmatisierung" spritschluckender Modelle

Ohne diese beiden Elemente wäre ein Programm zur Förderung der E-Autos "kraft- und somit sinnlos", hieß es in einer Vorlage aus dem Wirtschaftsministerium vom August 2015, die wir 2016 im stern zitierten. Das Zitat findet sich jetzt auch in dem Bericht des Rechnungshofs.

Doch gegen beide Ideen - Quote wie Stinkerzuschlag - machte die Autoindustrie Front, allen voran Matthias Wissmann, der damalige Präsident des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA). Der Zuschlag beim Kauf spritschluckender Vehikel etwa stelle eine "Stigmatisierung" der Premiumfahrzeuge der deutschen Hersteller dar, argumentierte die Industrie.

Nach einem Treffen mit Wissmann notierte ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums, man habe "im Nachgang" zu diesem Gespräch den Plan "mehrfach überarbeitet". Unter dem damaligen Wirtschaftsminister Gabriel schwenkten nun die SPD-Minister im Kabinett auf die Linie von Angela Merkels Kanzleramt ein. Stinkerzuschlag und Quote flogen raus. Stattdessen gibt es seit Juli 2016 eine staatliche Kaufprämie von nur noch 2000 Euro, finanziert von den Steuerzahlern. Ebenso viel legen die Hersteller pro E-Auto drauf – in der Theorie. In der Praxis äußerte jetzt auch der Rechnungshof den Verdacht, dass Hersteller und Händler einfach die früher üblichen Rabatte mit dem E-Auto-Abschlag verrechnen.

Das Ergebnis ist bekannt. Kaum einer will die Prämie haben – was den deutschen Autobauern nicht ungelegen kommen dürfte. Denn sie verdienen mit Elektroautos nach eigenen Angaben viel weniger Geld als mit Vehikeln mit Verbrennungsmotor.

"Die Entscheidung für die haushaltsfinanzierte Kaufprämie", so das Fazit des Rechnungshofs, "wurde damit ganz wesentlich durch die deutsche Automobilindustrie beeinflusst".

Das passe schlecht zu der Forderung, dass sich die Verwaltung an "den Interessen der Allgemeinheit" ausrichten sollte: "Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Sicherheit haben, dass die öffentliche Verwaltung das Gemeinwohl nicht gegenüber einem Gruppeninteresse oder gegenüber eigenen Interessen hintanstellt", heißt es in dem Prüfbericht. Verletze die Verwaltung die "Gebote der Unbefangenheit und Neutralität", dann berge das "zahlreiche, auch materielle Risiken". So werde "die Glaubwürdigkeit und damit auch die Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen" geschwächt.

Laut Rechnungshof hat das Wirtschaftsministerium die Vorwürfe zurückgewiesen. Es gebe "keine Hinweise" auf eine unzulässige Einflussnahme der Autoindustrie. Den BRH überzeugte das nicht: "Wir bleiben bei unserer Auffassung und weisen nachdrücklich auf Ihre Verpflichtung zu Unbefangenheit und Neutralität bei der Wahrnehmung Ihrer Aufgaben hin", schreiben die Prüfer an die Adresse des heute von Peter Altmaier (CDU) geführten Ministeriums. Und sie fordern die Behörde auf, künftig ihre "Entscheidungen nachvollziehbar zu bewerten und zu dokumentieren".

Was offenbar in diesem Fall nicht geschehen ist.

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