Militärische Hilfe Keine Waffen für die Ukraine? Pazifismus muss man sich leisten können!

Rauch und Flammen steigen aus einem Wohnhaus
Rauch und Flammen steigen aus einem Wohnhaus nachdem es von einem Panzer der russischen Armee getroffen wurde
© Evgeniy Maloletka / AP / DPA
Der Ukraine-Krieg hat in Deutschland eine pazifistische Grundhaltung offenbart. Doch die können wir uns gerade nicht leisten – und es gibt nur eine Partei, die das erkannt hat.

Die Zustimmung, die Ukraine militärisch zu unterstützen, geht in Deutschland merklich zurück. Das belegt eine Umfrage des Meinungsinstituts Forsa. Während sich Anfang April noch 55 Prozent der Deutschen für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprachen, sind es mittlerweile nur noch 46 Prozent. Die Gründe können vielfältig sein. Zum einen ist da natürlich die Angst, sich selbst mitten im Kriegsgeschehen wiederzufinden. Zum anderen scheint es dieser Tage unklug, die letzten funktionstüchtigen Waffen abzugeben. Ein dritter Punkt dürfte der Pazifismus sein, eine Denkschule, die jegliche Form von Krieg, Aufrüstung und militärische Ausbildung ablehnt. Statt Panzerhaubitzen und Kriegsflieger sollen Kriegsgegner mittels zivilem Ungehorsam und sozialer Verteidigung zur Kapitulation überredet werden. Mit Blick auf die Ukraine ein geradezu utopischer Ansatz – der jedoch keiner politischen Partei so sehr in die DNA eingraviert ist, wie den Grünen.

Ihrem traditionellen Verständnis nach bilden ihre Anhänger die ultimative Friedenspartei. Ihre Wurzeln münden in den Friedens- und der Umweltbewegungen der Siebzigerjahre. Zusammengeschlossen haben sich die Gruppen aus einer Angst vor atomarer Aufrüstung und dem Tod durch eine entsprechende Katastrophe. Man protestierte gegen die atomare Aufrüstung der Nato, gegen Kernkraftwerke oder eben gegen beides. Wobei sich der "Kampf" eher auf Demonstrationen, hitzige Debatten und das Stricken beschränkte – angesichts autokratischer und entschlossener Diktatoren, die nur zu bereit scheinen, den roten Knopf zu drücken, heute undenkbar. Ende der 90er Jahre musste der damalige Außenminister Joschka Fischer noch ein verletztes Trommelfell hinnehmen, weil er sich gegen die Denkschule seiner eigenen Partei stellte. Für den Kriegseinsatz der deutschen Armee im Kosovo erntete er einen Farbbeutel, der sein Ohr unglücklich traf. Fischer gehörte damals noch zu den wenigen, die sich vom Pazifismus abgewandt hatten.

Die grüne Kehrtwende

Das ist heute anders, die Kehrtwende der Grünen ist trotzdem nicht minder erstaunlich. So forderte Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck jüngst im "Spiegel": "Die Ukraine müsste idealerweise so gut ausgestattet sein, dass sie ihren Luftraum schließen kann. Wir müssen verhindern, dass aus diesem Land ein zweites Syrien wird." Ein "totalitäres Regime" müsse laut Beck "notfalls militärisch niedergerungen werden." Auch Spitzenvertreter ihrer Partei fordern militärische Hilfe für die Ukraine und setzen damit ihren Koalitionspartner, die SPD, unter Druck. Ausgerechnet jene Partei, dessen Vorsitzender im Europa-Ausschuss des Bundestages, Anton Hofreiter, selbst nie beim Bund war, den Dienst nach eigenen Angeben früher verweigert und heute pflichtbewusst angetreten hätte. Statt in der Regierung die zörgernden und bremsenden Moralapostel zu geben, die einen Krieg um jeden Preis verhindern wollen, wagen sie es, sich so offen zu äußern. Ein Grund: die fehlende Regierungsverantwortung.

Und trotzdem haben die Grünen Recht. Der Ukraine jegliche Bitten und jegliches Drängen nach Waffen zu versagen, hätte den russischen Truppen möglicherweise einen Blitzsieg beschert. Wirtschaftssanktionen reichen kurzfristig nicht aus, wie die endlose Liste der Kriegsverbrechen und des Leids der Zivilbevölkerung zeigt. In diesen Tagen einen Pazifismus an den Tag zu legen, kommt der Vogel-Strauß-Taktik am nächsten: den Kopf einfach in den Sand stecken, so tun, als ob alles nicht so schlimm wäre, nur weil die russischen Bomben die eigene Existenz noch nicht in Schutt und Asche gelegt haben, ist verheerend. Denn es geht in diesem Krieg nicht nur um einzelene Schicksale, die vielen Deutschen weit weg vorkommen mögen. Die Ukraine ficht gerade einen Kampf um Werte wie Demokratie, Freiheit , Souveränität und Menschenrechte aus. Werte, die auch wir hier teilen. Eine westliche Zurückhaltung wäre daher nur ein stillschweigendes Eingeständnis an Putin, die staatliche Souveränität mit Füßen zu treten und weitere Kriegsverbrechen zu begehen. Mit zivilem Ungehorsam und stricken für den Frieden hätten die ukrainischen Truppen ihre russischen Besatzer wohl kaum vertrieben.

Frieden muss manchmal erst erkämpft werden

Pazifismus ist in diesen Tagen zu einem Luxusgut geworden, das sich nur leisten kann, wer selbst nicht betroffen ist. Und gleichzeitig muss man die Frage stellen, wie lange viele Pazifisten ihre Grundeinstellung aufrechterhalten könnten, wenn um sie herum die ersten Bomben hereinprasseln würden. Ruhig sitzen zu bleiben und bunte Socken zu stricken, würde in diesem Fall wahrscheinlich von dem Instinkt zur Flucht überlagert werden. Man muss und sollte Kriege nicht gut finden. Aber in manchen Fällen sind militärische Mittel die letzte Möglichkeit. Vitali Klitschko hat es treffend in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" formuliert: "Das absolut Gute ist nicht der Frieden, sondern die Freiheit und die Gerechtigkeit. Und um sie zu verteidigen, muss man kämpfen."

Möglicherweise ist es an der Zeit für eine neue Art des Pazifismus. Oder haben wir den Pazifismus auch einfach falsch verstanden? Als sich die Grünen in den 1980er Jahren gründeten, sprachen sich führende Vertreter vor allem gegen die Nachrüstung der Nato aus. Sich gegen Atomwaffen zu positionieren bedeutete jedoch nicht, jegliche Form der Gewalt abzulehnen. Der Begriff Pazifismus kommt übrigens aus dem Lateinischen und bedeutet "friedliebend". Und manchmal muss man, wie Klitschko schreibt, eben dem Frieden zu Liebe, den Pazifismus erst über Bord werfen, um ihn dann wieder aufleben lassen zu können.