Umgang mit der Linken Gib dem Affen keinen Zucker

Der Einzug der Linken in Hessen und Niedersachsen wird die Parteienlandschaft auf Dauer verändern. "Unsichere Gewässer" nennt das der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Im stern.de-Interview erklärt er, wie die SPD am Besten mit dem Konkurrenten umgehen sollte und wann Roland Koch abtritt.

Herr Oberreuter, in Hessen scheint eine Regierungsbildung blockiert. Steckt unser politisches System in der Krise?

Zumindest steuern wir neue und unsichere Gewässer an, und das liegt letztendlich an der Wiedervereinigung, die uns seit je eine Differenzierung des Parteiensystems gebracht hat. Zunächst gab es ein westliches und ein östliches. Jetzt verankert sich mit den Landtagswahlen der Osten auch im Westen.

Heißt das, dass die Wiedervereinigung richtig vollzogen ist, wenn die Linkspartei in einer westdeutschen Landesregierung sitzt?

Jedenfalls macht der Westen jetzt die Erfahrung, sich mit östlichen Weltsichten vertraut machen zu müssen – bisher lief es immer anders herum. Zum Beispiel trifft die SPD mit ihrer Kampagne für mehr soziale Gerechtigkeit und stärkere Eingriffe in das Wirtschaftsleben die ostdeutsche Mentalität. Dieses Lebensgefühl konnte nun im Westen andocken, der aber auch nicht ganz frei davon gewesen ist.

Die Linkspartei ist doch ein scharfer Rivale für die Sozialdemokraten. Wie soll sich die SPD dagegen wehren?

Durch den neuen reformkritischen Kurs gibt SPD-Chef Kurt Beck dem Affen eher Zucker. Er macht die Linkspartei stärker. Die SPD sollte stattdessen die Irrationalität entlarven, die der Populismus der Linkspartei enthält: nämlich soziale Forderungen, die nicht bezahlbar sind, und ein antiquiertes Bild von der Wirtschaft jenseits von Moderne und Globalisierung. Doch das scheut die SPD noch, weil sie in sozialen Emotionen einen Platzvorteil gegenüber der Union sieht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Was bedeutet das für das politische System?

Wir werden uns in Deutschland mittelfristig auf bisher außergewöhnliche Koalitionen einrichten. Zum einen werden rot-rote Koalitionen oder Regierungen mit Tolerierung der Linkspartei überall möglich sein, denn die Linkspartei wird erfahren, was den Grünen in den Achtziger Jahren beschieden gewesen ist: eine stetig zunehmende Akzeptanz durch die anderen Parteien. Zum anderen werden auch die Grünen selbst sich für FDP und Union öffnen.

Können Sie sich einen grünen Landesminister Tarek Al-Wazir unter CDU-Ministerpräsident Roland Koch vorstellen?

Auf keinen Fall. In Hessen spielen zu viele persönliche Animositäten eine Rolle. Das sind Persönlichkeitsprofile, die völlig unvereinbar sind. Ganz abgesehen von den inhaltlichen Unterschieden.

Und wenn Roland Koch aufgibt?

Das wird gerade diskutiert, und deswegen ist diese Idee auch schon tot. Nur wenn Koch von selbst die Initiative ergreift und zugibt, dass er viel Kooperationspotenzial verspielt hat, würde sich Hessens CDU ernsthaft Alternativen zu Koch überlegen. Doch so weit ist die Situation noch längst nicht gediehen. Es wird wohl eine quälende Regierungsbildung in Wiesbaden geben. Denn die inhaltlichen Differenzen zwischen der konservativen Hessen-CDU und der linken Hessen-SPD wiegen eigentlich schwerer als die Stilfragen zwischen Koch, Andrea Ypsilanti von der SPD und Al-Wazir von den Grünen. Ginge es nur nach Inhalten, wäre das Schmieden einer Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen schwer genug, aber leichter als ein schwarz-rotes Bündnis.

Die FDP könnte doch genauso in eine Ampelkoalition mit Grünen und SPD eintreten.

Abgesehen von den inhaltlichen Unverträglichkeiten in der Sozial- und Wirtschaftspolitik haben die Liberalen immer noch mit ihrem Trauma als Partei der Umfaller zu kämpfen – als ihr Parteichef Erich Mende 1961 trotz anderer Wahlaussagen doch wieder in eine Koalition mit Adenauer eintrat, und als die FDP 1982 das Bündnis mit der SPD brach. Jetzt hat sie sich im hessischen Wahlkampf festgelegt, nicht mit der SPD zu wollen.

Können wir uns all diese vielen Stilfragen in der Politik leisten?

Die Parteien müssen wieder mehr sachbezogene Offenheit füreinander lernen. Das war früher besser. Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß zum Beispiel hätten nie gemeinsam einen innigen Urlaub in Südfrankreich verbracht. Aber sie waren immer in der Lage, in schwierigen Situationen und Grundsatzfragen Lösungen zu finden. Dazu erscheinen die heutigen Politiker weitaus weniger in der Lage. Je persönlicher die Politik ist, desto provinzieller wird sie.

Liegt die derzeitige Blockade nicht viel mehr an der so genannten Parteiräson? Viele Abgeordnete handeln weniger nach ihrem Gewissen und Sachfragen entsprechend, sondern entlang der strategisch vorgegebenen Parteilinie.

Einspruch. Politiker wird man nicht, um gegen die eigene Partei zu agieren. Ein Mandatsträger ist praktisch die Partei.

Das klingt jetzt aber auch ein bisschen nach DDR.

Nein. Hier herrscht innerparteiliche Demokratie, nicht Zentralismus. Abgeordnete bilden den Willen der Partei mit. Parteibindung ist nicht das Problem, und auch die Parteiräson ist es nicht – die gab es schon immer. Schlimm ist geworden, dass die Parteien die Suche nach Lösungen für große Gesellschaftsprobleme strategischen Machtspielen unterordnen, wie man es bei der Gesundheitsreform zum Beispiel beobachten konnte.

Wie kommt man aus diesem Schlamassel wieder heraus?

Die Politiker nur durch eine Bewusstseinsänderung. Je mehr die Leute extreme Parteien wählen, ob links oder rechts, desto realistischer ist, dass unsere Mandatsträger in sich gehen und selbstkritisch werden. Zynismus und Distanz der Wähler sind ohnehin schon übergroß.

Ein Weg wäre vielleicht, sich auf Minderheitsregierungen einzulassen. Die müssen auch in wichtigen Sachfragen um eine Mehrheit in den Parlamenten kämpfen und Abgeordnete überzeugen.

So kann man nicht verlässlich regieren. Sobald es um Wichtiges geht, wie zum Beispiel die Verabschiedung eines Haushalts oder größere Reformen, funktioniert das nicht.

In den skandinavischen Ländern zum Beispiel schon.

Die Gründungsgeschichte unserer Republik ist einfach eine andere. Es ging uns um die Bewältigung der Nazi-Vergangenheit und für die Zukunft um Stabilität. Bislang wollten die Deutschen immer Legislaturperioden, die nicht frühzeitig enden, sie wollten stabile Mehrheitsbildungen. Wir haben da eine kulturelle Bremse und positive Erfahrungen.

Noch stabiler würden die Mehrheitsverhältnisse, wenn man das Wahlrecht ändert und große Parteien bei der Auszählung gegenüber den kleineren begünstigt. Ein gangbarer Weg?

Die Deutschen betrachten das Wahlrecht nicht so sportiv wie die Briten. Würden die großen Parteien in Deutschland die kleinen Parteien durch ein Mehrheitswahlrecht eliminieren wollen, käme es zu einem politischen Aufstand.

Interview: Jan Rübel