Verkürzung der Wehrpflicht Crashkurs bei der Bundeswehr

Die schwarz-gelbe Koalition will die Wehrpflicht beibehalten - aber auch sechs Monate verkürzen. Der Chef des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, erklärt im Interview, was er davon hält. Und warum es mittlerweile ein Problem mit der Landesverteidiung gibt.

Wie bewerten Sie das Vorhaben die Wehrpflicht auf sechs Monate zu reduzieren?
Zunächst begrüße ich die Absicht, die allgemeine Wehrpflicht bestehen zu lassen. Es darf aber kein Einstieg in den Ausstieg sein! Wir brauchen die allgemeine Wehrpflicht, um die Bindungswirkung in die Gesellschaft zu haben und weiterhin den Nachwuchs zu bekommen. Außerdem ist es doch inzwischen so, dass unsere europäischen Nachbarn und sogar die USA sich ihre Wehrpflicht wieder zurück wünschen.

Das Berufsheer ist also die falsche Alternative?
Ja. Der sechsmonatige Ansatz ist jedoch nicht neu, da hat man schon öfter drüber nachgedacht. Die bisher ausgearbeiteten Konzepte sehen so aus, dass die Wehrdienstleistenden in ihren Grundfertigkeiten ausgebildet werden. Es würde dann eine allgemeine Grundausbildung und eine kleine Spezialgrundausbildung geben. Dort werden dann die Dinge beigebracht, die jeder können muss, also Umgang mit der Waffe und der persönlichen Ausrüstung. Genauso das Verhalten in Gefechten und die Selbst- und Kameradenhilfe. All das kann man in sechs Monaten sehr professionell ausbilden. Aber das ist es dann auch. Diese Grundwehrdienstleistenden wären nicht für komplizierte Waffensysteme oder ähnliches einzusetzen. Dafür muss es weiter freiwillige Wehrdienstleistende geben, die wie bisher bis zu 23 Monate dienen.

Was kann man im Ernstfall mit diesen Wehrpflichtigen anfangen?
Bei den heutigen Einsätzen, wie im Kosovo, werden die Wehrdienstleistenden ja nur dann eingesetzt, wenn sie sich dazu freiwillig melden. Im Falle der Landesverteidigung könnten auch die sechsmonatigen Wehrdienstleistenden die allgemeinen Aufgaben erfüllen, also zum Beispiel als Infanterist. Gleiches gilt natürlich auch für die Hilfsaufgaben, wie beispielsweise beim Oderhochwasser. Was bisher aber fehlt ist eine konzeptionelle Aufgabenbeschreibung.

Was meinen Sie damit?
Wenn Sie in das Weißbuch der Bundesregierung hinein gucken und dort nach Rekonstitution suchen, dann finden Sie nichts. Für den unwahrscheinlichen Fall der Landesverteidigung müsste es neue Konzepte geben. Die Aufgaben die wir heute wahrnehmen sind zwar auf lange Sicht die wahrscheinlicheren Aufgaben, aber es ist trotzdem nötig!

Wenn ich sie richtig verstehe, fehlt also bislang das Konzept für die Landesverteidigung mit den sechsmonatigen Grundwehrdienstleistenden?
Ja, genau das fehlt! Und ich sehe derzeit auch nicht die Bereitschaft der Politik sich mit diesem Thema auseinander zu setzen.

Für ein sechsmonatiges Konzept bräuchte man mehr Zeitsoldaten, sagen Sie. Muss die Bundeswehr für sie attraktiver werden?
Absolut: die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit muss besser werden. Es hat zwar schon erste Ansätze gegeben, aber in dem Bereich muss dringend noch mehr passieren. Wie so oft ist das ein Problem der finanziellen Ausstattung...

Was ist hier wichtiger? Mehr Geld für die Soldaten oder flexiblere Einsatzmöglichkeiten?
Das Geld selbst spielt keine so große Rolle, es geht viel mehr um die Rahmenbedingungen: Die Kinderbetreuung, die Pendlerappartements. 80 Prozent der Soldaten pendeln heutzutage. Keiner mag mehr seinen Standort aufgeben, gerade wenn der Partner einen Arbeitsplatz hat. Heute ist es ja fast immer nötig, dass beide Elternteile arbeiten, um die Familie zu ernähren. Wenn wir solche Dinge nicht beachten, werden wir den Wettbewerb um die guten Nachwuchskräfte auf jeden Fall verlieren.

Ulrich Kirsch, 58

Der Oberst ist seit Januar 2009 Vorsitzender des Bundeswehrverbandes (DBwV) und damit Cheflobbyist der Bundeswehrsoldaten. Der DBwV wurde 1956, kurz nach der Bundeswehr, in Münster gegründet. Er kümmert sich vor allem um Fragen des Dienst- und Versorgungsrechts. Und ist ein glühender Verfechter des Prinzips vom Staatsbürger in Uniform.

Cicero
Martina Fietz