Der Kanzler kam eine Minute vor Fünf. Im Schlepptau von Gerhard Schröder schritt Außenminister Joschka Fischer (Grüne) durch die schwere Stahltür des Bundesrats. Im ersten Stock, an der Cafeteria vorbei, hatten sich am Sonntagabend die 32 Mitglieder des Vermittlungsausschuss versammelt. "Die Menschen erwarten, dass wir die Steuerreform beschließen und die Agenda 2010 verbindlich regeln", sprach der Kanzler in mehr als 40 Mikrofone. Fischer nickte und hatte dabei die Stirn in Falten gelegt.
Der Kanzler und sein Außenminister hatten das Frust-Erlebnis des gescheiterten Verfassungsgipfels der Europäischen Union noch in den Knochen. Halb ernst, halb spaßig machte ein Bonmot die Runde: Zwei Mal scheitern an einem Wochenende könne sich der Kanzler wohl nicht leisten. Fragen zur Festnahme von Saddam Hussein ignorierten Schröder und Fischer. Langsam schritten sie die breite, steinerne Treppe zum Verhandlungssaal empor. "Die machen das klar", verströmten Sprecher der Koalition Optimismus.
Schröder will die Verhandlungen in Gang bringen
Kurz bevor Schröder und Fischer die letzten Treppenstufen erreichten, hielten CDU-Chefin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) Einzug. Die Reihenfolge der Ankunft an diesem nasskalten 3. Advent war wohl durchdacht. Schröder hatte noch in Brüssel angekündigt, die ins Stocken geratenen Vermittlungsverhandlungen mit neuen Kompromiss-Vorschlägen wieder in Gang zu bringen.
Schröders Angebot nicht "ausreichend"
Am Sonntagmittag hatte sich Merkel mit den Regierungschefs der unionsgeführten Länder in der weihnachtlich dekorierten bayerischen Landesvertretung getroffen. Saddams Festnahme und der gescheiterte EU-Gipfel schienen etwas den öffentlichen Druck von der Union genommen zu haben. In so einer überraschend neuen Situation könnte man vielleicht noch ein bisschen mehr rausschlagen, hieß es. Und eine gute Stunde nach Beginn der Sitzung meinte denn auch Unions- Verhandlungsführer Volker Kauder: Das bisherige Angebot Schröders sei nicht "ausreichend".
Reformen auf dem Arbeitsmarkt angemahnt
Vor allem aber galt es für die Parteivorsitzenden von CDU und CSU sowie für ihre Verhandlungsführer im Ausschuss: Die Union zusammenhalten. "Wir sehen mit Spannung den Ausführungen der Bundesregierung entgegen", sagte Merkel. Ohne Reformen auf dem Arbeitsmarkt und beim Kündigungsschutz gebe es kein Vorziehen der Steuerreform, ergänzte Stoiber.

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Telefonate mit den Parteivorsitzenden
Schröder hatte gegen 14.00 Uhr mit Merkel und anschließend mit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle telefoniert. Dabei habe der Kanzler in groben Zügen die Verhandlungslinie abgesteckt, hieß es. Um die Mittagszeit saßen Schröder und die Koalitionsspitzen im Kanzleramt zusammen.
Die Pressesprecher und Referenten verteilten sich auf den Fluren vor den Ausschusstüren, um die jeweilige Interessenslage vor den Medienvertretern zu unterfüttern. Auch Regierungssprecher Bela Anda und seine beiden Stellvertreter waren anwesend. Die Union ließ kolportieren: "Wenn nicht noch mehr dazu kommt, vor allem bei den betrieblichen Bündnissen, wird es nicht reichen."
Das politische Berlin hatte schon lange nicht mehr einen solchen Medienauftrieb erlebt - höchsten bei den Festspielen im nahe gelegenen Sony-Center am Potsdamer Platz. Für einen roten Teppich war zu dieser Stunde vor den Bundesrat allerdings kein Anlass.