Nach dem missglückten Anlauf beim ersten Mal sind die Berliner nochmal zur Wahlurne getingelt. Das Ergebnis spricht Bände: Ein "weiter so" wollen die Bürger nicht mehr, Franziska Giffey und ihre Partei, die SPD, wurden abgestraft. Dafür erhielt die Union Zulauf. Aber das reicht womöglich nicht für einen Wechsel. "Das linke Bündnis kann wohl weiterwursteln", schreibt die "Augsburger Allgemeine Zeitung". Diese Lehren zieht die Presse aus der Wahl in der Hauptstadt:
Ein "weiter so" wollen sie in Berlin nicht
"Leipziger Volkszeitung": "Die Wiederholungswahl in Berlin hat keine Klarheit gebracht und droht die Hauptstadt in die nächste Krise zu stürzen: Die CDU hat klar gewonnen, wird aber möglicherweise nicht regieren können. SPD, Grüne und Linke haben mit herben Verlusten ihre Mehrheit ins Ziel gerettet. Offen ist noch, ob sie sich zur nächsten Landesregierung zusammenraufen – unklar mit wem an der Spitze. Gut wäre die Fortsetzung dieses Bündnisses nicht. In Berlin ist so viel mehr notwendig als ein Weiter-so."
"Reutlinger General-Anzeiger": "(...) wenn man etwas aus dem Abstimmungsverhalten herauslesen kann, dann ist es die Unzufriedenheit mit der Arbeit der bisherigen rot-rot-grünen Landesregierung. Doch wen interessiert schon der Wählerwille, wenn es die Aussicht auf einen Platz auf der Regierungsbank gibt. Wenn Politiker vorleben, dass die eigenen Interessen über allem stehen, kann es niemand wundern, warum Berlin zum Sinnbild für Unregierbarkeit und Chaos geworden ist."
"Berliner Zeitung": "Franziska Giffey hatte schon vor der Wahl versucht, die Sozialdemokraten in vielen Feldern näher an die CDU-Linie zu bringen, weil ihr klar war, dass eine Politik, die vor allem auf Experimente wie Mietendeckel, Enteignungen oder Bullerbü-Verkehr ausgerichtet ist, die realen Probleme der Berliner nicht lösen kann und dazu führen wird, dass die Menschen sich von der SPD abwenden. Aber ihre Partei will das nicht. Wer so lange regiert, glaubt zu sehr an die eigenen Visionen für einen Kurswechsel. (...) Sicher, auch die Union könnte nicht alles besser machen und vor allem nicht schnell. Aber einen Wechsel, der verkrustete Strukturen aufbrechen und verstaubte Anschauungen hinwegfegen würde, wäre zumindest ein Anfang. Es wird lange dauern, die Fehler aus 20 Jahren wieder zu korrigieren."
"Badische Zeitung": "Und jetzt? Schwer vorstellbar, dass das bisherige Bündnis weiterregieren kann – auch wenn es rechnerisch möglich wäre. (...) Die Berliner, das ist vielleicht die Botschaft der Wahl, sehnen sich nach einer Landesregierung, welche die Stadt endlich kompetent und ernsthaft führt, nicht ideologiegetrieben und leichtfüßig, wie es seit Jahren geschieht. Nur so lässt sich zurückgewinnen, was der Stadt fehlt: Vertrauen in ihr Führungspersonal."
"Stuttgarter Zeitung": "SPD, Grüne und Linke täten gut daran, tief in sich zu – und das Wahlergebnis als deutlichen Hinweis darauf zu verstehen, wie unzufrieden viele Menschen mit ihrer Regierungsarbeit waren. Das ist kein Wunder in einer Stadt, in der vieles allenfalls mäßig funktioniert: von der Frage, ob man einen Termin bekommt, um einen neuen Pass zu beantragen, über den angespannten Wohnungsmarkt bis hin zu fehlenden Lehrkräften in den Schulen. Nicht für alle Probleme ist allein die Landesregierung verantwortlich zu machen. In Metropolen wie Berlin gibt es besonders große Herausforderungen in Sachen Armut und Integration. Eine wachsende Millionenstadt ist schwer zu administrieren. Allerdings hat der Senat aus SPD, Grünen und Linken seinen Job eben alles andere als gut erledigt. Sollten die drei Parteien dennoch weiter gemeinsam regieren wollen, müssten sie sehr gut erklären können, was sie künftig anders machen wollen."
Die Union hat gesiegt – aber trotzdem kaum eine Chance
"Stuttgarter Nachrichten": "Berlin hat gewählt. Aber es bleibt kompliziert. Denn das Verrückte in der Hauptstadt ist: Die Menschen sind in großer Zahl unzufrieden mit der Arbeit der Koalition aus SPD, Grünen und Linker. Und trotzdem hat sich keine klare Gegenkonstellation herauskristallisiert. Und nun: Hat die CDU als stärkste Partei automatisch den Regierungsauftrag? Nein. Es gehört zum politischen Handwerk, dass die Partei behauptet, sie allein sei jetzt am Zug. Die Realität sieht aber anders aus: Eine Regierung anführen darf – legitimerweise – derjenige, dem es gelingt, eine parlamentarische Mehrheit hinter sich zu versammeln."
"OM-Medien": "Franziska Giffey wurde dabei als Regierungschefin derart massiv abgestraft, dass eine Fortsetzung der alten Koalition (was die wahrscheinlichste Lösung sein wird) unter ihrer Führung nicht mehr möglich sein kann. Die Frage klärt sich vielleicht von allein, wenn die Grünen an der SPD vorbeiziehen (...). Die CDU will zwar Sondierungsgespräche führen, aber das ist nur Rhetorik. Ein Triumph bleibt es für die Union dennoch."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Augsburger Allgemeine": "Zwar bildet die Hauptstadt-CDU im Abgeordnetenhaus künftig die stärkste Fraktion. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass Wegner als neuer Chef ins Rote Rathaus einzieht. Denn SPD, Grüne und Linke mussten zwar Federn lassen, für eine Fortsetzung des bisherigen Bündnisses reicht es aber wohl. Alle drei Landesverbände ticken deutlich linker als im Bund und anderen Bundesländern. Gegenüber der CDU gibt es tiefe ideologische Vorbehalte, gerade nach den Diskussionen um die Herkunft der Silvesternacht-Gewalttäter. Ob unter Führung der Sozialdemokraten oder der Grünen: Das linke Bündnis kann wohl weiterwursteln."
"Die Glocke": "Für den CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner ist das zweifelsfrei ein großer Erfolg. Aber im schlimmsten Fall ein Erfolg, für den sich der 50-Jährige nichts kaufen kann. Mit den Grünen liegt er bei vielen Themen über Kreuz, mit den Linken ist ein Bündnis ohnehin ausgeschlossen. Und allein mit der FDP reicht es nicht. Dass SPD und Grüne lieber jeweils unter eigener Führung eine rot-rot-grüne Koalition fortsetzen möchten, als sich der CDU als Juniorpartner unterzuordnen, ist nicht unwahrscheinlich. Kai Wegner hat die Wahl gewonnen und bleibt womöglich doch ohne Zugriff auf die Macht. Er könnte zum König ohne Land werden."

"Münchener Merkur": "Statt Chaos während der Wahl herrscht nun Chaos nach der Wahl. Ja, die CDU darf sich als Gewinner fühlen, was in einer strukturell eher linken Stadt schon bemerkenswert ist. Ihr sattes Ergebnis ist eine schallende Ohrfeige für Rot-Grün-Rot – ein 'Weiter so' darf es eigentlich nicht geben. Nur: Mit wem will Kai Wegner regieren? Die Regierungssuche dürfte sich hinziehen. Aber es hätte mehr als ein G’schmäckle, wenn Rot-Grün-Rot weiter macht. In Berlin müssen sich Politik und Verwaltung neu erfinden. Die Krawalle an Silvester, die rasant steigenden Mieten, der Ärger über Verkehr oder Schulen – der Frust ist mit Händen zu greifen. Vom lapidaren, resignativen "Dit is Berlin" haben selbst die Berliner genug."