Blickt der Berliner CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer auf die vergangenen zehn Monate Parteigeschichte zurück, hat er stets das Gefühl, sich selbst kneifen zu müssen. Träum ich denn? Kann das wahr sein? Noch immer ruht die bayerische Staatspartei weich und warm dort, wo sie am liebsten liegt: satt über 50 Prozent. Der von vielen befürchtete und vom politischen Gegner sehnsüchtig erwartete parteiinterne Kleinkrieg hat nicht stattgefunden.
Das große Chaos blieb aus
Nix Komödienstadel, keine der finsteren Intrigen, zu denen sich die CSU vom Ochsensepp-Debakel vor mehr als 50 Jahren bis zum Abschuss von Max Streibl oder Theo Waigel ansonsten jederzeit in der Lage sah. Und die gefährliche Gabriele hat sich selbst abgeschossen. "Das ist ganz unglaublich," freut sich Ramsauer, "wie wir das wieder hingekriegt haben. Meine Partei steckt einfach voller Wunder."
Die Analyse trifft zu. Die CSU geht mit strammen Lederhosen und dicken Wadln in ihren Parteitag, auf dem ein spektakulärer Aufstand gegen Edmund Stoiber frohgemut abgeschlossen wird. Sie hat Bindungskraft nach innen bewiesen. Das große Chaos blieb aus. Es gab nur vereinzelt schrille Begleittöne. Flurschaden null. Das hilft beim Jubeln über den scheidenden Parteichef und Ministerpräsidenten. 20 Minuten dürfte die Übung dauern, mindestens. Nicht bei allen ist es schiere Pflicht, von einigen wenigen abgesehen, dem Waigel Theo vielleicht oder dem Sauter Alfred. Und selbst beim Blick voraus, lässt sich kein neuer Ärger erkennen.
Seehofer will Minister bleiben
Horst Seehofer wird seine Niederlage schlucken, wird tapfer lächeln und brav weiter machen. Will ja Minister bleiben in Berlin. Oft genug angekündigt hat er es ja. Die 1100 Delegierten werden es ihm bei der Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden mit einem guten Ergebnis danken. Da könnten dann auch die Stimmen jener dabei sein, die ihn nach einem bekannten CSU-Spruch sonst nicht wählen würden: "Je länger man Seehofer kennt, desto weniger hält man von ihm." Wer statt den heroischen Abgang zu wählen, "im Interesse der Partei" brav weitermacht, der kassiert eben auch unverdiente Stimmen.
Auch objektiv betrachtet ist der 61-Jährige Erwin Huber die bessere Wahl als neuer Parteichef. Intimer als er ist keiner mit der Basis. Er ist fit von der Kommunalpolitik über die Landespolitik bis zur Bundespolitik. Er kennt die Pappenheimer von der Berliner Landesgruppe genau, die Wahlkreiskönige in der CSU-Fraktion im Maximilianeum noch besser. Dass Seehofer ihn als bundespolitischen Anfänger "derbleckte", darüber hätte man nicht einmal auf dem Nockerberg gelacht. Zeitweise saß Huber schließlich mehr im Berliner Vermittlungsausschuss als im Münchner Ministerbüro. Einem Seehofer hätte Angela Merkel nie und nimmer die politische Schlüsselstelle eines Kanzleramtsminister angeboten. Den Huber hätte sie gerne dort gehabt.

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Hauptgegner ist nicht die SPD
Huber ist auch aus parteiinterner Sicht der richtige Mann. Zunächst stehen in Bayern Kommunalwahlen an. Dabei sind nicht die Genossen der unentwegt bei 20 Prozent schwächelnden bayerischen SPD die Hauptgegner, sondern die Freien Wähler. Schneiden die beim Kampf um die Rathäuser gut ab, könnten sie auf den Geschmack kommen, auch bei der Landtagswahl im Herbst 2008 eigenständig mitzumischen. Dann würde das vom künftigen Ministerpräsidenten Günther Beckstein selbst gesetzte Minimalziel - 50 Prozent plus x, wobei das x als Fünf gelesen werden muss - in Gefahr geraten.
Es wäre ein Debakel für die neue CSU-Führung. "Da ist es gut, wenn der Parteivorsitzende bei den Menschen vor Ort ist und die Partei mobilisieren kann," sagt Huber. Mit einem Huber im Land und nicht mit einem Seehofer in Berlin fühlt sich die CSU sicherer vor einer derartigen Blamage. Ähnlich denken natürlich auch die Landtagsabgeordneten, von denen einige ohnehin um ihr Mandat bei der Landstagswahl bangen. Die Zwei-Drittel-Mehrheit vom letzten Mal dürfte unerreichbar geworden sein. Danach dann darf der Huber 2009 gen Berlin ziehen.
An der Spree wiederum sollte man sich nicht der trügerischen Hoffnung hingeben, nun komme ein Politiker, der pflegeleichter als Stoiber sei. Eher dürfte das Gegenteil der Fall sein. Er muss denen in München erst mal beweisen, dass er im Kreis der anderen Parteivorsitzenden der Großen Koalition kein Fliegengewicht ist. Huber ist fest entschlossen, unverzüglich zu beweisen, dass er es kann. "Stoibers Wadlbeißer" war er zur Genüge, dass er es im Ernstfall auch bei der Kanzlerin könnte, weiß er. "Seien Sie ohne Sorge," sagt er zu stern.de, "fürs Profil der CSU bin ich jederzeit zu kämpfen bereit." Das bundespolitische Gewicht der CSU werde er mit Sicherheit wahren. Merkel kann es sich auch in Zukunft auf keinen Fall leisten, einen CSU-Bundesminister im Regen stehen zu lassen.
Eine bundespolitische Minderung ihres Gewichts muss die CSU aus drei Gründen nicht fürchten. Erstens weiß Angela Merkel ganz genau, dass die politischen Positionen der bayerischen Staatspartei auch in weiten Teilen der CDU geteilt werden. Die Bayern sagen, was sich die Nordrhein-Westfalen oder Hamburger nicht trauen. Zweitens gibt es den Vertrag über die gemeinsame Bundestagsfraktion von CDU und CSU und der besagt: Ohne die CSU geht nichts. Drittens: Nur wenn die CSU in Bayern mindestens 50 Prozent bei Bundestagswahlen holt, kann die CDU bundesweit überhaupt wieder in die Nähe der 40-Prozent-Marke kommen. Auch hier heißt es: Ohne die CSU geht nichts.
Das Machtzentrum fehlt
Was die Lage für die CSU schwierig macht, ist etwas anderes: Alle die Stoiber-Jahre hat sie die Verantwortung über ihren politischen Kurs bei Stoiber abgeladen. Der setzte ihre Interessen in Berlin durch. Der mutete der Basis in Bayern für seine politischen Ziele zuweilen schwer verdauliche Kost zu. Wie seine Nachfolger Beckstein und Huber als ungewohnte Doppelspitze die neue Lage meistern, bleibt abzuwarten. Es gibt durchaus Stimmen in der CSU, die dafür plädieren, dass Huber zunächst dringlicher als neuer Fraktionsvorsitzender gebraucht werde denn als Wirtschafts- oder Finanzminister.
In Zukunft muss die CSU für die nächste Zeit ohne das ausgeprägte Machtzentrum auskommen, das Stoiber in der Staatskanzlei selbstherrlich eingerichtet hatte. Seine Minister waren Befehlsempfänger, zuweilen sogar bei Kleinigkeiten. Die erledigte der Regierungschef dann nicht mal selbst, sondern ließ seinen Vertrauten Martin Neumeyer bei den Ministern anrufen.
"Aber wir stehen auf ganz dünnem Eis"
Nicht alle teilen Ramsauers offizielle Begeisterung über die derzeitige Lage der CSU. Es stimme schon, sagt einer, der sich in CSU-Interna glänzend auskennt, dass die Ziffern für die Partei in den Umfragen ein stabiles Hoch ausweisen. "Aber wir stehen dabei auf ganz dünnem Eis," warnt er. Stoibers schmähliche Flucht aus der Verantwortung in Berlin, Seehofers langjähriges familiäres Doppelleben, die Intrigen beim Kampf um die Macht in der Partei, hätten Glaubwürdigkeit gekostet. Dass an den Stammtischen über die "Christliche Sex Union" gelästert werde, müsse ernst genommen werden.
Überfällig ist in der Tat eine Kabinettsumbildung durch Beckstein, die vor allem Verjüngung bringen muss. In der Altergruppe unter 50 ist die CSU in Führungspositionen überaus dünn besetzt. Durch den Abgang von Umweltminister Werner Schnappauf, hat Beckstein personellen Spielraum gewonnen. Sein bisheriges Amt als Innenminister wird ebenfalls frei. Generalsekretär Markus Söder könnte Umweltminister werden, Favorit für die Beckstein-Nachfolge ist Innen-Staatssekretär Georg Schmid. Vielleicht schafft Beckstein es auch, Wissenschaftsminister Thomas Gopppel, auch schon 60, ins Amt des Landtagspräsidenten abzuschieben. Noch ein freier Posten.
Eine Kabinettsumbildung ist überfällig
Was dem neuen Duo an der Spitze helfen wird: Eine kraftvolle landespolitische Opposition existiert praktisch nicht. Im bayerischen Kabinett wird die Stimmung erheblich besser sein als zu Stoibers Zeiten, der ohnehin immer alles besser wusste. Dennoch wird es dramatisch schwer werden für Huber und Beckstein, neue landespolitische Akzente zu setzen. Stoiber hat einen drastischen Sparkurs gefahren, loyal unterstützt von Huber. Der kann morgen nicht leugnen, was er gestern noch für richtig hielt. Beider Führungsanspruch besteht zunächst nur formal. Autorität aus eigener Leistung müssen sich Huber und Beckstein erst noch erarbeiten. Das wird nicht leicht werden.
Denn zumindest vorerst steht hinter ihnen der gewesene Große Vorsitzende, der ganz sicher nicht der eitlen Lust entsagen kann, immer wieder mal an die gute alte Zeit zu erinnern. Die Zeit, in der alles viel, viel besser war.