Meinung So regiert die Union: Die Opposition suchen wir uns schon selber aus

Bei der Wahl im Bundestag von der Union abgelehnt: Clara Bünger von der Linken
Bei der Wahl im Bundestag von der Union abgelehnt: Clara Bünger von der Linken
© Bernd Elmenthaler / Imago Images
Wieder hat die Union eine Linken-Abgeordnete für die Geheimdienstkontrolle abgelehnt. Das ist selbstherrlich, strategisch falsch und schädlich für das Ansehen des Parlaments.

Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger ist nicht ins Parlamentarische Kontrollgremium der Geheimdienste gewählt worden. Die Abstimmung im Plenum des Bundestages war geheim, aber vieles spricht dafür, dass der 39-jährigen Juristin viele Stimmen aus der Unionsfraktion gefehlt haben. Sehr viele Stimmen.

Ja, und?

Jens Spahn ist entweder lustlos oder überfordert

Diese gescheiterte Wahl hat eine größere Bedeutung für die politische Wirklichkeit, für die Zukunft der Koalition und für den Eindruck der parlamentarischen Demokratie in der Öffentlichkeit, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sie zeigt, dass die Unionsfraktion ein desorganisierter Haufen unter einem entweder überforderten oder lustlosen Vorsitzenden Jens Spahn ist, in dem jeder seine persönlichen Vorbehalte über die perspektivische Politikfähigkeit der Großen Koalition stellen kann. Büngers Scheitern muss zudem den Verdacht nähren, dass die Union gerne mit so wenig Opposition wie möglich regieren will – vielleicht, weil CDU und CSU im Ringen mit sich selbst um Abschiebungen und Rentenreformen schon völlig ausgelastet sind und es nicht auch noch mit der echten politischen Konkurrenz aufnehmen können.

Drei Signale gehen von dieser Nichtwahl Clara Büngers aus. Erstens: Viele Unionsabgeordnete sind in ihrem Verhältnis zur Linken nicht zum Kompromiss bereit. Dass sie im ersten Durchgang die Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek nicht ins PKGr wählen wollten, mag man noch nachvollziehen: Aus der Sicht eines CDU-Abgeordneten ein bisschen viel Punk für so ein seriöses Gremium, und Reichinnek hat in ihrer Führungsfunktion sicherlich schon genug zu tun. Geschenkt.

Clara Bünger hingegen ist eine renommierte Innenpolitikerin und über die Linken-Fraktion hinaus respektiert, quasi eine weibliche Bodo Ramelow. Ihre Nominierung war ein faires Kompromissangebot der Linken, ein Entgegenkommen unter Parlamentariern – so wie am 6. Mai, als nur dank der Linken ein sofortiger zweiter Wahlgang möglich wurde, um Friedrich Merz nach fehlender Zustimmung im eigenen Lager doch noch ins Kanzleramt zu hieven. Da hat sich die Linke als staatstragend erwiesen.

Zweitens: Mit ihrer Verweigerung signalisiert die Union nicht nur, dass sie gerne Stimmen von der Linken nimmt, wenn sie’s braucht, aber nichts zu geben bereit ist, wenn es mal nützlich wäre. Diese Raffgier aber wird auf Dauer nicht funktionieren, und sie wird Folgen haben für die Koalition. Denn wie soll unter diesen Umständen zum Beispiel eine Reform der Schuldenbremse, die von Union und SPD im Koalitionsvertrag fest verabredet wurde, die notwendige Zweidrittelmehrheit finden?

Vor allem die SPD sollte die Signale aus der Union sehr ernst nehmen: Es gibt Kräfte in der Unionsfraktion, die die Politikfähigkeit dieser Regierung fahrlässig oder – noch schlimmer – absichtlich aufs Spiel setzen. Und der Fraktionsvorsitzende Jens Spahn tut was genau dagegen? Nichts.

Drittens: Ja, die Abgeordneten sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Aber sie tragen um der Glaubwürdigkeit ihrer selbst willen auch Verantwortung für eine vertrauenerweckende Funktionsfähigkeit des Parlaments. Und dabei ist die Opposition kein "nice to have", sondern systemisch. Das unterscheidet die Wahl zum PKGr übrigens auch von der Wahl der Bundestagsvizepräsidenten. Ein Parlamentspräsidium funktioniert auch mit einem Vize weniger, hier geht es um Repräsentanz, nicht um Kontrolle.

Im PKGr aber sitzen nun fünf Vertreter der Koalition und nur einer aus der Opposition, der Grüne Konstantin von Notz. Die Wahl von zwei AfD-Vertretern ist schon gescheitert, jetzt die einer linken Abgeordneten. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Regierung und vor allem die Union die Opposition nach Belieben zusammensucht, beziehungsweise zusammenschrumpft, um nicht zu sagen: beseitigt. Nur wer der Mehrheit genehm ist, darf für die Minderheit die Kontrollrechte ausüben. Das ist lächerlich und absurd.

Das Scheitern von Clara Bünger ist mithin nicht nur eine Blamage für die Union, es ist auch gefährlich für das Bild, das der Bundestag als Herzkammer der Demokratie nach außen abgibt. Anders gesagt: Das kann man niemandem mehr erklären.

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