Sind das die Besten, die Elite der deutschen Politik? Treten hier geschlossene Formationen miteinander an, Kampfeinheiten von Schwarz und Rot? Oder führt an diesem Tisch der einzige Mann das Regiment, die deutsche Maggie Thatcher? Schon der Augenschein genügt, um die Absurdität solcher Fragen zu erkennen. Vor diesem Kabinett versagen alle Klischees und historischen Erklärungsmuster. Nichts, so scheint es, bringt Ordnung in das personale Chaos der Zwangsvereinigten und Spätverwaisten. In großer Not auch noch eine große Not-Koalition. Selbst aus behutsameren Urteilen sickert harzig Beklommenheit.
Elite? Friedrich Merz, unbestreitbar einer der Besten, ist draußen wie noch nie - wütend unter Quarantäne. Horst Seehofer, der Bauernminister, spricht kein Englisch - und wird sich nächtens in Brüssel, wenn hastig und ohne Dolmetscher Milliarden-Kompromisse zusammengenagelt werden, fühlen wie ein Hilfspolier beim Turmbau zu Babel. Kampfeinheiten? Peer Steinbrück, obgleich nun stellvertretender SPD-Vorsitzender, ist so wenig kämpferisch rot wie Thomas de Maizière, Generalstäbler im Kanzleramt der CDU, stählern schwarz.
Maggie Merkel? Dazu fehlen der Kanzlerin die Weichlinge im Kabinett wie der Waschlappen daheim. Ihr Joachim ist kein Denis, und wenn es ihr gelingt, private Leidenschaft ins Amt zu retten, dann wird sich die Nation, ach was: die Welt, an die verstörende Vorstellung gewöhnen müssen, dass eine wahrhaftige Regierungschefin ihrem berufstätigen Mann am Wochenende zur Zerstreuung Kartoffelsuppe kocht.
Die Vorstandsvorsitzende der Deutschland AG beim Schnippeln am Herd, das ist für sich genommen so amüsant wie lehrreich - denn es zertrümmert alte Rollenbilder. Wäre das exportorientierte Land eine exportorientierte Aktiengesellschaft, wäre ein Vorstand wie dieses Kabinett indes schwer vorstellbar. Aber das ist nicht neu. Darüber juxt die Konkurrenz schon seit langem. Trafen sich die Regierungschefs Europas, machten sich der Franzose Jospin und der Brite Blair einen Spaß daraus, den Deutschen Schröder verständnislos am Rande stehen zu lassen, indem sie vom Englischen, das er mühsam verstand und so gut wie nicht sprach, ins Französische wechselten. Der säuerliche Ruf des Kanzlers nach dem Übersetzer war den beiden stiller Triumph wie symbolhafter Beleg für den Abstieg der blasierten Deutschen in internationale Zweitklassigkeit.
Nun also, mit der neuen Regierung, noch weiter ins Abseits? Angela Merkel hat in dieser Hinsicht keinen Anlass zu Komplexen: Sie spricht mutig Englisch und fließend Russisch. Sie begreift als Physikerin wie kein anderer Regierungschef die wissenschaftliche Dynamik, sie hat die Lektionen der Ökonomie im Rekordtempo gelernt, und sie greift längst lenkend und koalierend ein in die europäische Machtpolitik. José Manuel Barroso, den Präsidenten der EU-Kommission, hat sie schon maßgeblich mit durchgesetzt. Ihr Kabinett allerdings wirkt wie das vorletzte Aufgebot der deutschen Politik - und lässt fürchten, wie das letzte aussähe.
Maggie Merkel? Dazu fehlen der Kanzlerin die Weichlinge im Kabinett und der Waschlappen daheim
Aber nicht allein deswegen verdient es ein besonderes Maß an Verantwortung und Sorgfalt in der Bewertung. Denn bei näherer Betrachtung der Karrieren und Prägungen sind Gemeinsamkeiten zu erkennen, aus denen sich eine kritische Masse für fruchtbare Reformarbeit ergeben könnte. Schwarz gegen Rot führt als Ordnungsprinzip in die Irre. Wer das Kabinett in parteipolitische Lager sortiert, verstellt sich gerade den Blick auf das Wesentliche: Auflösung der Lager, Ablösung der Ideologen.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Bei keiner anderen Regierung zuvor war der Anteil der politischen Spät- und Seiteneinsteiger so hoch, jener der klassischen Berufspolitiker so niedrig wie bei dieser. Grob klassifiziert beträgt das Verhältnis acht zu acht. Auf der einen Seite jene, die in einem soliden Beruf gearbeitet haben oder als Referenten, Organisatoren und Fachleute in die Politik kamen: Merkel, Steinbrück, Steinmeier, Zypries, von der Leyen, Schavan, de Maizière, Tiefensee. Auf der anderen jene, die meist früh die Ochsentour über Parteigremien, Ämter und Mandate wählten: Müntefering, Schäuble, Glos, Seehofer, Wieczorek-Zeul, Jung, Schmidt, Gabriel.
Es ist kein Zufall, dass die erste Gruppe, halbe-halbe schwarz und rot, die Fantasie beflügelt und die zweite vergleichsweise statisch wirkt - mit einigen Namen, deren Auswechslung später kaum überraschen würde. Nennen wir die erste die Merkel-, die zweite die Münte-Gruppe, um die kulturelle Grenze zwischen neuerungsbereiten Pragmatikern und witternden Parteitaktikern zu markieren. Diese Ordnung in der Unordnung ist Chance wie Risiko.
Findet die erste Gruppe zueinander, erstarkt sie gar personell, regiert das Kabinett der Seiteneinsteiger unter Umständen länger als vier Jahre. Denn sie eint mehr, als sie trennt - stiller Patriotismus. Die eitlen Ritterkreuzträger der Politik sind an der Hartz-Front 2010 gefallen. Jetzt ist die Zeit der Trümmergeneration.