Zwischenruf Lass tanzen die Wölfe

Angela Merkel ist beim Reformgipfel nicht nur zur Nebenkanzlerin geworden. Sie hat auch keine Rivalen mehr in der Union - denn die sind unfähig zum Bündnis. Aus stern Nr. 52/2003

Sie herrscht. Nach innen, im eigenen Lager. Und sie regiert schon mit. Nach außen, als 15. Mitglied des Kabinetts Schröder. In der Gipfelnacht des vergangenen Wochenendes ist Angela Merkel zur Nebenkanzlerin aufgestiegen. Seit Oskar Lafontaine war kein Oppositionsführer so wirkungsstark wie sie. Und sie übertrifft ihn noch. Der SPD-Despot erschöpfte sich in Lähmung der Regierung Kohl. Sie gestaltet, zwingt die Regierungspolitik in die von ihr betonierten Kanäle. Seither ist der Machtwechsel in ihren Händen zur greifbaren Option geworden. Nicht sofort, das ist nicht ihr Kalkül. Aber 2006. Gerhard Schröder oder Angela Merkel - vor dieser Wahl wird Deutschland in drei Jahren stehen.

Denn ihre innerparteilichen Rivalen sind schon heute keine mehr. Vor einem halben Jahr noch schien sie dem Wolfsrudel der bestenfalls eigensinnigen, schlimmstenfalls aber knurrenden oder gar schnappenden Konkurrenten ausgeliefert. Hilflos und ohne Plan. Neun Länderfürsten, dazu noch der für die Ewigkeit vergrätzte Friedrich Merz: Jeder von ihnen war sich selbst der Nächste. Und alle fern der Vorsitzenden. Heute lässt Rotkäppchen die Wölfe tanzen. Nach eigener Melodie.

Das schmerzhaft überspannte Ego

Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble und Friedrich Merz hatte sie schon geschafft. Nun auch noch Edmund Stoiber und Roland Koch. Und die tun sich schwer, es zu begreifen, das schmerzhaft überdehnte Ego zu entspannen. Stoiber ist von der Offensive in die Defensive geworfen. Nicht mehr er ist es, der in die CDU hineinwirkt - sie wirkt in die CSU hinein. Und das ist der Alarmfall für die Bayern-Partei. Das verblüffend geschlossene Votum des Leipziger CDU-Parteitags für ihr Modell, die Kopfpauschale in der Krankenversicherung, war ihr strategischer Sieg - und Stoibers Waterloo. Er hatte das Ding geradezu unverschämt öffentlich als unsozial vergiftet - und auf Spaltung der Schwesterpartei gesetzt. Eisige Kälte in Leipzig ließ alle seine Ambitionen erfrieren. Kanzlerkandidat ist er seither nicht mehr.

Ja, schlimmer: Merkels Ding hat die Jungen in der CSU verzaubert, nun ist die gespalten. Sie hat ein Projekt, er nicht, weil er die Denkarbeit in der CSU schleifen ließ. Seither fürchtet Stoiber die verwünschte Schwester, führt sein Gefolge zurück in die Trutzburg bayerischer Eigenbrötelei. Entstaubt wird das Copyright von Franz Josef Strauß: detailversessene Rechthaberei, weil die CSU nur so ihre Wahlerfolge behaupten kann. Merkel braucht Stoiber als Alliierten, wie beim Berliner Reformgipfel. Doch Verbündete in der CDU hat er nicht mehr.

Wuchtiger Axthieb

Selbst Roland Koch nicht, der einen Brückenkopf in Merkels Lager hätte ausbauen können. Aber den hat Stoiber selbst unvergesslich gedemütigt, als er dem Steuerreform-Verweigerer - damals ganz Diener Angela Merkels - entgegenschleuderte, der Hesse solle erst mal sein Land in Ordnung bringen. Das war ein wuchtiger Axthieb gegen Kochs Kernkompetenz: gutes, erfolgreiches Regieren. Und eine einmalige Boshaftigkeit unter Parteifreunden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Stoiber wirkt nicht mehr in die CDU hinein, sondern Merkel in die CSU

Koch kämpfte fortan alleine. Setzte auf Merkels Scheitern bei der Wahl 2006 - und den eigenen Aufstieg zum Kanzlerkandidaten 2010. Hätte die vorgezogene Steuerreform - mit Merkels Segen - den Aufschwung gebracht und Schröders Kopf gerettet, hätte Koch abgerechnet: Ihr habt ihm Ende 2003 den Sieg geschenkt, ich habe immer davor gewarnt. Aber nun kommt nur die gekappte Steuerreform - und Kochs Traum zerplatzt. Jetzt muss er verarbeiten, wogegen er sich realitätsblind gesträubt hat: Angela Merkel ist nicht nur eine Übergangsfigur. Sie steuert die CDU, inzwischen nicht nur mit Misstrauen und Ehrgeiz, sondern auch mit dosiertem Charme und einem noch perfekteren System des Paktierens per Telefon als selbst Helmut Kohl es vorexerzierte.

Schizophrenes Patt

Friedrich Merz, der Dritte hinter Merkel, wird ihr nie verzeihen, dass sie ihn nach der Wahl 2002 aus dem Amt wuchtete. Aber zum Partner Stoibers wird er dadurch längst nicht, denn der hatte daran mitgewirkt. Und die Vorsitzende ist nun sogar strategisch mit ihm verbündet: Sie hat seinen großen Steuerplan zu dem ihren gemacht. Er lauert zwar bitter auf Gelegenheit zur Revanche, aber er braucht sie auch. Schizophrenes Patt.

Die Rivalen sind unfähig zum Bündnis. Also herrscht sie. Und spielt. Setzt Stoiber sanft unter Druck, sich eine Kandidatur für das Präsidentenamt noch mal in Ruhe zu überlegen. Vielleicht könne ja auch Theo Waigel erster Bundespräsident der CSU werden, wird genüsslich lanciert. Eine kleine Idee mit gewaltigem Stachel: Waigel ist Stoibers Intimfeind. Teile, herrsche - und lass sie tanzen, die Wölfe.

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Hans-Ulrich Jörges