Fragen und Antworten Erster Bürgerrat startet zum Thema Ernährung. Was kann das neue Ideen-Forum?

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gibt am Freitag den Startschuss für den ersten Bürgerrat
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas gibt am Freitag den Startschuss für den ersten Bürgerrat
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Ein Bürgerrat aus 160 zufällig ausgewählten Menschen soll der Politik Empfehlungen zum Thema Ernährung geben. Am Wochenende kommt das neue Ideen-Forum erstmals zusammen. Was hat es damit auf sich?

Es gibt den Bundestag und den Bundesrat. Und nun auch noch einen Bürgerrat.

Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wird das Gremium am Freitag feierlich eröffnen, das aber etwas ganz anderes als die zwei Verfassungsorgane ist. Das neuartige Ideen-Forum soll im Auftrag des Parlaments Empfehlungen aus der Mitte der Bevölkerung entwickeln. Und zwar als erstes zum praktischen Thema der Ernährung, das alle im Alltag berührt.

Dabei ist klar: Gesetze beschließt der Bundestag, und das soll auch so bleiben. Ganz unumstritten ist das Experiment mit einer geregelten Bürgerbeteiligung aber nicht.

Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Was ist überhaupt ein Bürgerrat?

SPD, Grüne und FDP hatten im Koalitionsvertrag angekündigt, "neue Formen des Bürgerdialogs" wie Bürgerräte nutzen zu wollen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Die Einsetzung des Gremiums beschloss der Bundestag im Mai, neben der Ampel stimmte auch die Linke dafür. Bas erklärte bei der Ermittlung der Mitglieder im Juli, mit Bürgerräten sollten neue Wege ausprobiert werden. Sie schafften Raum für Begegnungen, um persönliche Sichtweisen und Erfahrungen einzubringen. Die Meinungsvielfalt bereichere die Demokratie und verschaffe auch Menschen aus der "stillen Mehrheit" eine Stimme.

Wer sitzt in dem Gremium?

Gewählt wie Abgeordnete der Parlamente sind die Mitglieder nicht. Laut Einsetzungsbeschluss gehören dem Rat 160 Personen an, die per Zufallsprinzip aus allen Menschen über 16 Jahren mit Erstwohnsitz in Deutschland ausgewählt wurden. Mit bestimmten Kriterien sollte eine "ausgewogene Beteiligung" etwa nach Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft, Ortsgröße und Bildungshintergrund erreicht werden. Unter den Mitgliedern sind nach Angaben der Organisatoren auch 2,5 Prozent Veganer und 10 Prozent Vegetarier. Beim Bildungsstand seien zunächst mehr als 70 Prozent mit Hochschulabschluss unter den Interessenten gewesen – im Rat sind Akademiker nun mit rund 26 Prozent vertreten.

Und wie kam die Zusammensetzung zustande?

Bas ermittelte die 160 Mitglieder in einer "Bürgerlotterie", der wiederum ein Stufenverfahren vorausging. Dafür wurden im Juni knapp 20.000 ausgeloste Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme eingeladen. Es kamen 2200 Rückmeldungen mit Mitmach-Interesse. Daraus ermittelte ein Algorithmus 1000 mögliche Zusammensetzungen eines Bürgerrates nach den vom Bundestag bestimmten Kriterien. Bas loste dann eine dieser Varianten des Bürgerrats mit 160 Teilnehmern aus – dafür zog sie die drei Ziffern für die Zusammensetzung des Rates Nummer 187.

Wie soll der Bürgerrat arbeiten?

Gleich nach der Eröffnung steht am Wochenende die erste Sitzung an. Insgesamt stehen drei Wochenendtreffen und sechs digitale Sitzungen auf dem Fahrplan. Bis 29. Februar 2024 soll das Gremium dann ein "Bürgergutachten" mit Empfehlungen vorlegen – und zwar maximal neun, wie es im Konzept heißt. So sollen bewusst Prioritäten gesetzt werden. Abgestimmt werden soll mit Mehrheit, sichtbar werden sollen aber auch Minderheitspositionen. Als "Aufwandspauschale" gibt es 100 Euro pro Präsenz-Sitzungstag und 50 Euro pro Digital-Sitzung. Zur fachlichen Unterstützung soll ein wissenschaftlicher Beirat dienen.

Worum genau geht es in der Sache?

Das Thema lautet "Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben." Dabei soll sich das Gremium vor allem damit befassen, wo der Staat in der Ernährungspolitik aktiv werden soll und wo nicht. Konkrete Themen sind zum Beispiel Kennzeichnungen zur Umweltverträglichkeit und zu Tierwohlstandards, der Steuerrahmen bei Lebensmitteln oder Lebensmittelverschwendung. Im Blick stehen sollen mögliche Maßnahmen, für die der Bundestag auch zuständig ist.

Welche Bürgerräte gab es schon in Deutschland?

Ganz neu sind Bürgerräte auf Bundesebene nicht. So gab es bereits Foren, die zwar nicht vom Bundestag aber von Vereinen organisiert wurden. Der erste bundesweite Rat tagte 2019 zum Thema Demokratie, später ging es um Deutschlands Rolle in der Welt oder Klimaschutz.

Auf Länderebene gab es in Berlin ebenfalls einen Bürgerrat, der über Klimaschutzmaßnahmen in der Hauptstadt diskutierte. In Baden-Württemberg setzte man sich mit der Strategie in der Landwirtschaft oder der Zukunft des Nationalparks Schwarzwald auseinander. Der Umgang mit der Corona-Pandemie wurde in Sachsen debattiert. Die 43 Empfehlungen des Forums fanden sich laut dem Verein "Mehr Demokratie" aber "fast nirgendwo" in den Maßnahmen des Landeskabinetts wieder.

Auch in zahlreichen Städten kamen Bürgerräte bereits zur Lösung lokaler Probleme zum Einsatz. Zum Beispiel veranstaltete Düsseldorf einen Rat zur Zukunft des Opernhauses und in Pirna tagt derzeit ein Rat zur Neugestaltung des Marktplatzes.

Gibt es erfolgreiche Vorbilder im Ausland?

Das erfolgreichste Vorbild ist sicherlich die "Citizen’s Assembly" in Irland. Hier hatte die Empfehlung des Rats sogar Einfluss auf die Gesetzgebung – sein Votum führte zu einem liberaleren Abtreibungsrecht. In Frankreich riet der Bürgerrat dazu, unter strengen Bedingungen aktive Sterbehilfe zuzulassen. Präsident Macron verwies jedoch darauf, dass die Vorschläge zwar dazu dienen die parlamentarische Debatte anzureichern, aber nicht direkt in die Gesetzgebung einfließen. In der Schweiz gab es ebenfalls einen Bürgerrat zum Thema Ernährung – er erarbeitete rund 100 Empfehlungen. Auch Australien, Dänemark, Finnland, Großbritannien, Luxemburg, Österreich, Polen und Spanien nutzen Bürgerräte.

Wie hoch sind die Erwartungen?

Die Verbraucherzentralen unterstützen das Konzept, Bürgerinnen und Bürger gemeinsam Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Fragen diskutieren zu lassen. Für einen gelungenen Transformationsprozess der Land- und Ernährungswirtschaft sei das gerade wichtig, um ihre Alltagserfahrungen einfließen zu lassen, sagte die Fachreferentin des Bundesverbands, Carolin Krieger. Von Union und AfD kam vorab Kritik an dem neuen Gremium, das ihrer Ansicht nach "vom Parlament nicht benötigt" werde.

In der Schublade verschwinden soll das "Bürgergutachten" tunlichst nicht. Festgelegt ist bereits eine Aussprache im Plenum – dem könnten sich dann noch vertiefende Beratungen in den Bundestagsausschüssen anschließen.

Quellen: DPA-Material, "RND", "Deutschlandfunk", "SZ", "Bürgerrat.de"

luc