Györ, Ungarn, vor den Toren eines Camps für Asylbewerber: Ein Auto mit deutschem Kennzeichnen fährt vor, dahinter kommt eins aus Österreich. Insgesamt rollen über dreißig Fahrzeuge mit leeren Rücksitzen an. Die selbst ernannte Mission ihrer Fahrer: Geflüchteten, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in Györ festsitzen, das Weiterkommen zu erleichtern.
"Wir sehen nicht ein, dass Menschen sich in Europa nicht mehr frei bewegen dürfen“, empört sich Jan Liebig von der Initiative Prisma - Leipzigs Interventionistische Linke. "Wir wollen Flüchtlingen helfen, nach Deutschland einzureisen!“
Dafür starteten am Montagmorgen 15 Autos als Konvoi in Leipzig. In Dresden, Prag und Wien schlossen sich weitere an. Vor Ort arbeitet die Organisation mit lokalen Helfern zusammen, die bereits Personen für den privaten Transport ausgewählt haben: Kinder und Familien haben Vorrang, aber auch alten und schwachen Menschen soll die angenehmere Weiterreise ermöglicht werden.
Schluss mit den Völkerwanderungen über die Autobahn?
Wir alle haben die Bilder gesehen, in denen ganze Völkerwanderungen auf den Seitenstreifen von Autobahnen stattfanden. Menschen trugen ihr letztes Hab und Gut, ihre Kinder und sich selbst über Bahngleise, unwegsames Gelände, durch Matsch und über vor Müdigkeit zusammengebrochene Landsleute hinweg. Zustände, die Europa unwürdig sind, dachten sich viele. Immer mehr Privatpersonen ergreifen nun selbst die Initiative und nutzen ihre freien Tage, um Asylbewerbern, die oftmals schon Wochen zu Fuß unterwegs waren, auf den letzten Metern zu unterstützen und sie abzuholen. Eine neue Welle der Willkommenskultur – der private Chauffeur-Service.
Per Flugzeug nach Schweden
In Schweden gehen Susanne Najafi und Emad Zand noch einen Schritt weiter. Mit ihrer Initiative Refugee Air wollen sie die Flüchtlingspolitik selbst in die Hand nehmen und Asylbewerbern den gefährlichen Weg über Land und Wasser ersparen. Ihr Ziel: "#Letthemfly - Lasst sie fliegen!“ Die beiden Unternehmer wollen die erste Maschine einfliegen lassen, noch bevor in Stockholm der erste Schnee fällt.
Anders als der Autokonvoi, der sich über Spenden finanziert und Asylbewerber kostenfrei mitnimmt, wird das Flugticket jeden Flüchtling rund 200 Euro kosten. "Verglichen mit den horrenden Preisen der Schlepper ist das ein sehr niedriger Preis für eine sichere Einreise“, erklärt Susanne Najafi gegenüber dem stern. "Sollten dennoch finanzielle Probleme ein Hindernis darstellen, werden wir Lösungen über Crowdfunding finden.“
Flieger frei für Flüchtlinge
Rechtliche Probleme gibt es keine, praktische jedoch umso mehr: Flüchtlingen ist es grundsätzlich erlaubt, zu fliegen. Nur wenn später in dem Ankunftsland kein Asylgrund anerkannt wird, muss laut der 2001 erlassenen Trägerhaftung die Fluggesellschaft für die Rücktransportkosten aufkommen. Deshalb würden die Airlines am Flughafenschalter derzeit systematisch alle Personen abweisen, deren Status unklar sei, so Najafi.
Refugee Air will diesem Missstand Abhilfe schaffen. In Zusammenarbeit mit Organisationen in Jordanien und der Türkei erstellen Najafi und ihre Mitstreiter Listen legitimer Flüchtlinge, die den Fluggesellschaften zur Verfügung gestellt werden sollen.
Und wenn das im Einzelfall nicht funktioniert? "Wir sind bereit, diese Risiken zu übernehmen“, erklärte Emad Zand gegenüber dem Sender Sveriges Radio. Im Notfall will die Initiative selbst Flugkosten übernehmen und für den Rücktransport aufkommen.
Auch die Prisma-Aktivisten haben die meisten Hindernisse noch vor sich: Ob der Flüchtlingskonvoi aus Györ in wenigen Tagen tatsächlich Deutschland erreicht, ist abzuwarten. "Die veränderte Gesetzeslage beeinträchtigt unsere Hilfsaktion sehr“, erklärt Liebig. Nicht nur die Grenze nach Österreich muss überquert werden, auch die neuen Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze könnten Probleme bereiten. "Doch unser Ziel bleibt das Gleiche: Wir wollen die Menschen nach Deutschland holen!“