Es mutet unglaublich an: Ein junger Jude überlebt während der NS-Zeit in Berlin als Passfälscher im Untergrund. Als er auffliegt und von der Gestapo steckbrieflich gesucht wird, flüchtet er mit dem Fahrrad in die Schweiz. Cioma Schönhaus hat seine Geschichte 60 Jahre später aufgeschrieben. "Ich war jung, unerfahren, leichtsinnig und abenteuerlustig", erzählt der heute 82-Jährige. "Das Gefühl, etwas gegen diese Schweinehunde, die Nazis, unternehmen zu können, hat mir Spaß gemacht."
Sohn russischer Emigranten
Schönhaus kam 1922 als Sohn russischer Emigranten in Berlin zur Welt. Als er vier Jahre alt war, versuchten seine Eltern, sich in Palästina eine neue Heimat aufzubauen. Sie scheiterten jedoch und kehrten schon nach zwölf Monaten zurück nach Deutschland. Die Gefahr, die ihnen durch die Nazis drohte, erkannten sie nicht. "Meine Mutter hat gesagt: 'Blödsinn, das gibt es ja gar nicht'", sagt Schönhaus im AP-Interview.
Er wusste schon früh von den Deportationen: Schönhaus arbeitete Anfang der 40er Jahre als Uniformschneider in einer Fabrik. Den Lastwagen, mit dem die Uniformen ausgeliefert wurden, fuhr ein Soldat. Er erzählte den Arbeitern, dass es in Polen Krematorien gebe, in denen Juden verbrannt würden. Schönhaus' Eltern glaubten die Geschichte nicht.
Buch-Tipp
Cioma Schönhaus: "Der Passfälscher", Scherz-Verlag, bearbeitet von Marion Neiss (ISBN 3-502-15688-3, 17,90 Euro)
Sie wurden schließlich im Juni 1942 in das Vernichtungslager Majdanek deportiert und dort ermordet. Cioma entkam der Deportation durch einen Zufall. Er arbeitete zu dem Zeitpunkt in einer Fabrik, in der Waffen hergestellt wurden. Sein Chef beantragte bei der Gestapo, ihn zurückzustellen. Dem Antrag wurde in letzter Minute stattgegeben. Schönhaus blieb allein in Berlin zurück.
Ein Bekannter stellte ihm eines Tages Edith Wolff vor - eine Frau, die Juden vor der Deportation zu retten versuchte. Für sie fälschte Schönhaus den ersten Pass. Das sprach sich herum - wenig später begann er, in großem Stil Pässe zu fälschen. Insgesamt, so schätzt er, waren es etwa 200.
In die Illegalität abgetaucht
Inzwischen war er zusammen mit einem jüdischen Freund in die Illegalität abgetaucht, wechselte ständig die Unterkunft. Er habe schon früh gelernt, "sich so zu verhalten, dass die anderen nichts merken", sagt Schönhaus und erzählt eine Geschichte aus seiner Jugend: Mit ein paar jüdischen Freunden war er als 14-Jähriger auf Fahrt; sie trampten auf der Autobahn, obwohl das verboten war. Der Wagen eines hochrangigen SA-Führers hielt an, und die Jungen machten ihm weis, sie seien Mitglieder der Hitler-Jugend auf dem Weg nach Berlin.
Während seiner Zeit im Untergrund leistete sich Schönhaus sogar ein Segelboot. Dort schlief er manchmal auch, wenn er keinen anderen Unterschlupf fand. Denn das Leben in der Illegalität war schwierig: Jeden Moment konnte man auffliegen, auch unter den Juden gab es Spitzel.
Schönhaus ließ sich einen falschen Pass ausstellen - auf den Namen Peter Petrov, Nationalität: weißrussisch. Diesen Pass verlor er eines Tages, und das war der Anfang vom Ende seiner Fälscher-Tätigkeit. Denn die deutschen Behörden hielten ihn für einen Spion und ließen ihn steckbrieflich suchen. Im Herbst 1943 flüchtete er in die Schweiz - natürlich mit eigens gefälschten Dokumenten.
Trotz dieser dramatischen Lebensgeschichte liest sich Schönhaus' Buch stellenweise fast fröhlich. "Ich bin ein Optimist", sagt er. "Es gibt immer Licht und Schatten. Wo etwas Negatives kam, habe ich etwas Positives dagegen gesetzt." Er ließ sich in der Schweiz nieder, beendete seine Ausbildung als Grafiker und gründete eine Werbeagentur.
"Mich interessiert nicht, warum es passiert ist"
Sein Buch habe er die ganzen Jahre über schon im Kopf geschrieben, erzählt er. Aber erst im Alter habe er die Geschichte zu Papier bringen können. "Vorher hatte ich gar keine Zeit", sagt der Geschäftsmann. Jetzt beschäftigt er sich mit dem nächsten Buch. Darin soll es um Hintergründe der Judenverfolgung während der NS-Zeit gehen. "Mich interessiert nicht, was passiert ist, sondern warum es passiert ist", erklärt Schönhaus. "Da fehlt mir die Antwort auch in der Wissenschaft."