Der Name Brüning ist wieder aktuell geworden, seitdem Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine den Kurs von Kanzler Gerhard Schröder mit den Brüningschen Sparrezepten in einen Topf geworfen hat. Finanzminister Hans Eichel muss sich plötzlich Fragen gefallen lassen, ob er nicht in einer ähnlichen Zwangslage stecke wie seinerzeit Brüning.
Die «Tolerierung» der von März 1930 bis zum Mai 1932 amtierenden Regierung Brüning durch die SPD war über Jahrzehnte eines der heikelsten Kapitel in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, vergleichbar mit der ebenso lange traumatisch wirkenden Bewilligung der Kriegskredite im Ersten Weltkrieg.
Wegen der Unterstützung Brünings «als das kleinere Übel», um die drohende NS-Diktatur zu verhindern, kam es zu heftigen innerparteilichen Zerreißproben, bis hin zur Abspaltung des äußersten linken SPD-Flügels, der sich im Herbst 1931 als eigene Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) formierte. «Das stille Zusammenspiel zwischen Brüning und der eigenen Parteiführung hatte manchem den Rest gegeben», schrieb Willy Brandt in seinen Erinnerungen als Auslöser für den vorübergehenden Abschied von der Mutterpartei.
«Brüning hielt Hitler für verbrecherischen Demagogen»
Im Rückblick gab es aber auch aus den Reihen führender Sozialdemokraten positive Bewertungen für Brüning. «Er war entschlossen, den Staat unter das Gesetz altpreußischer Sparsamkeit zu stellen und eine Wirtschaftspolitik zu führen, in der Stufe um Stufe die Ursachen der Arbeistlosigkeit überwunden würden», schrieb der in der SPD immer noch hochverehrte einstige Bundestags-Vizepräsident Carlo Schmid nach Kriegsende. «Heinrich Brüning hielt Adolf Hitler für einen verbrecherischen Demagogen, für einen Fanatiker, dem die politische Verrücktheit den Hals brechen würde.»
Brüning, der im Herzen wohl Monarchist war, gilt jedenfalls als der letzte Reichskanzler, der versuchte, die Weimarer Republik durch die Weltwirtschaftskrise zu steuern. Dabei setzte er auf eine eiserne Deflationspolitik am Parlament vorbei. Dies bedeutete: Die direkten Steuern auf Löhne und Nahrungsmittel wurden per Notverordnungen erhöht, die Einkommen im öffentlichen Dienst und staatliche Sozialausgaben drastisch gekürzt. Mit diesem Rezept wollte Brüning die ausbleibenden Steuereinnahmen ausgleichen, die Staatsfinanzen und den Geldwert im Lot halten.
Da jedoch die Lasten vor allem auf dem Rücken der Arbeiter und der Arbeitslosen abgeladen wurden, während Großgrundbesitzer weiter subventioniert wurden, verschärfte sich die Krise. Weil die Kaufkraft und der private Konsum immer mehr zurückgingen, stieg die Zahl der Arbeitslosen bis auf über sechs Millionen an. Immer mehr Erwerbslose waren auf rückzahlungspflichtige Wohlfahrtunterstützung angewiesen, die kaum zum Überleben reichte. Dies führte zu einer immer stärkeren Radikalisierung in der Bevölkerung.
Schwere Strukturkrise der Wirtschaft
Dieser Kurs Brünings wird in der Geschichtsforschung kontrovers bewertet. Fachleute wie der Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt glauben, dass es unter den damaligen Bedingungen kaum eine andere Wahl gab. Schon vor Brüning Amtsantritt habe sich die deutsche Wirtschaft in einer schweren Strukturkrise befunden, die erst bereinigt werden musste, bevor eine aktive Konjunkturpolitik möglich gewesen sei. Nutznießer der von Brüning eingeleiteten Stabilisierungsschritte seien schließlich die Nationalsozialisten gewesen. «Selten hat jemand so sehr das Gute gewollt und doch das Verhängnis gefördert», hieß es später über Brüning, der 1970 in den USA starb - dorthin war er 1934 ausgewandert.