Startbahn West Widerstand gegen den "Wachstumswahn"

Die Startbahn West war ein identitätsstiftendes Symbol für die alternative Bürgerrechtsbewegung in der alten Bundesrepublik. Bis zu 150000 Menschen demonstrierten dort in den 80er Jahren gegen den "Wachstumswahn" von Politik und Wirtschaft.

Für die einen war sie der notwendige Kapazitätsausbau des Frankfurter Flughafens, die anderen sahen in ihr den ungehemmten Wachstumswahn von Politik und Wirtschaft: Wie kaum ein anderes Bauprojekt hat die Startbahn West in Frankfurt am Main die Lager in der Bundesrepublik gespalten.

Für die gesellschaftskritischen Kreise der alten Bundesrepublik wurde das Bauprojekt zu einem einigenden Symbol und förderte Anfang der 80er-Jahren das Entstehen der alternativen Bürgerrechtsbewegung. Die Grünen haben hier ihre Wurzeln, und es ist kein Zufall, dass sich die neue Partei der Grünen zuerst in Hessen in den Kommunalparlamenten etablieren konnte.

Bereits in den 60er Jahren waren erste Pläne für den Bau der Startbahn West entwickelt worden. Ende der 70er Jahre begannen die ersten größeren Demonstrationen auf dem Gelände. Doch erst als der Bau unmittelbar bevorstand, gab es eine Mobilisierung der Bevölkerung im Umland des Flughafens, erinnert sich Martin Kessel, heute Sprecher der Bürgerinitiativen gegen den Flughafenausbau.

Vom Widerstandshaus zum Hüttendorf

Einen Schub bekam die Bewegung im Mai 1980: Mitten auf der geplanten Piste errichteten Mitglieder von Bürgerinitiativen in einer Nacht- und Nebel-Aktion ein so genanntes Widerstandshaus. Darum herum entstanden bald ein Hüttendorf aus rund 60 Gebäuden und eine Subkultur, die die Anhänger der Öko-Bewegung in ganz Deutschland wie magisch anzog.

Mehrfach gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Von Oktober 1981 an räumten Hundertschaften der Polizei erste Teile des zu rodenden Waldes. Zum rabenschwarzen Tag für die Startbahngegner wurde die Räumung des Hüttendorfs am 2. November 1981. Es folgten ungezählte Demonstrationen. Bis zu 150 000 Menschen skandierten vor kilometerlangen NATO-Draht-Sperren gegen die "starre Haltung" der damals sozial-liberalen Landesregierung. Zugleich wurden die "Sonntags-Spaziergänge" am Baugelände zum Ausdruck des Protests, der oftmals auch gewalttätig endete.

Siegeszug der Grünen

Die Verbitterung über den "Moloch Flughafen" und den "Wachstumswahn" im Nachkriegsdeutschland prägten das Flughafen-Umland über Jahre. In den umliegenden Ortschaften schossen grüne Parteien aus dem Boden und kamen auf Anhieb in die Kommunalparlamente, 1982 zogen die Grünen in den hessischen Landtag ein. Und auch bundesweit trug der Protest zum Erstarken der Ökobewegung bei. Trotzdem: Am 12. April 1984 wurde die Startbahn West eröffnet.

Tote nach der Eröffnung

Die Proteste gingen auch nach der Eröffnung weiter. Ein letztes Mal ließ der Startbahn-Widerstand im November 1987 die Republik erbeben. Demonstranten lockten eine Gruppe von Polizisten in einen Hinterhalt. Als sie sich irritiert zurückziehen wollten, wurde plötzlich geschossen. Mehrere Beamten wurden verletzte, zwei starben.

Knapp 20 Jahre nach der Inbetriebnahme der fast 4000 Meter langen Piste hat sich die Frage nach der Auslastung der Startbahn längst überholt. Heute herrscht an der Startbahn West der Alltag eines Flughafens. Ohne die Bahn wären die im vergangenen Jahr rund 460 000 Starts und Landungen in Frankfurt nicht denkbar, sagt Flughafen-Sprecher Wolfgang Schwalm. Fast 50 Millionen Passagiere nutzen den Flughafen im Jahr.

Auch nach dem Bau der Startbahn West ging die Erweiterung weiter: Das Terminal 2 und eine Hochbahn wurden gebaut, im Süden entstand der Frachtbereich CargoCity. Mittlerweise verfügt der Flughafen auch über einen ICE-Bahnhof.

Planung einer vierten Rollbahn

Inzwischen läuft die Planung einer vierten Rollbahn auf Hochtouren. Der Frankfurter Flughafen iat erneut an die Grenzen seiner Kapazität angelangt. Erneut gibt es Proteste gegen die Lärmbelastung, auch wenn sie bei weitem nicht das Ausmaß der 80er Jahre erreichen.

Und die Grünen sind in ihrer Haltung längst nicht mehr einig. Der Erfolg der alternativen Bewegung hat die Grünen an die Schalthebel der Macht geführt, aber die Macht änderte mehr die grüne Parteiprogrammatik als diese die Verhältnisse. Der ökonomische Zeitgeist hat alle Bereiche des gesellschaftspolitischen Lebens erfasst.

DPA
Rochus Görgen/Christoph Marx