Der 1. August 1944 sollte das Ende der knapp fünf Jahre dauernden brutalen deutschen Besatzung in Warschau einleiten. Die Heimatarmee (AK), die der polnischen Exilregierung in London unterstand, wollte die Hauptstadt aus eigener Kraft befreien. Die Zeit drängte, denn sowjetische Truppenverbände hatten bereits das östliche Weichselufer erreicht und die rechtsseitigen Stadtteile Warschaus eingenommen. Doch nach 63 Tagen endete der Aufstand in einer Tragödie.
Nach der Niederlage von Stalingrad befanden sich die deutschen Truppen seit Monaten auf dem Rückzug. Zudem hatte sich im ostpolnischen Chelm eine Woche zuvor das "Polnische Komitee der Nationalen Befreiung" gebildet, das die politische Rückendeckung Moskaus hatte. Der Krieg war noch nicht vorüber, aber der Kampf um die künftige Regierung und politische Ausrichtung Polens war bereits absehbar.
Die Aufständischen in der Hauptstadt unter der Führung von General Tadeusz Bor-Komorowski glaubten, in zwei bis drei Tagen würde alles vorbei sein. Doch mit Tod und Leid kam auch das endgültige Ende des alten Warschaus. Mit der Ermordung der 330 000 Warschauer Juden 1943, ein Drittel der Vorkriegsbevölkerung der Hauptstadt, hatten die deutschen Besatzer die alte Gesellschaft bereits unwiederbringlich zerstört. Nun verblutete eine ganze Generation im Aufstand.
Die erhoffte Kontaktaufnahme mit der Roten Armee gelang nicht, die Hilfe der westlichen Alliierten beschränkte sich auf einige Waffenabwürfe. Den etwa 23 000 schlecht ausgerüsteten Kämpfern des Aufstands stand eine gut bewaffnete deutsche Übermacht an Militär und Polizei gegenüber. Zunächst schlugen die Deutschen die Kämpfe in den Außenbezirken nieder, nach 63 Tagen erbitterter Kämpfe mussten die Aufständischen in der belagerten Warschauer Altstadt kapitulieren.
Flucht durch die Kanäle
Halina Donath weiß noch, was ihr durch den Kopf ging, als ein Bote der Untergrundbewegung sie in der Nacht zum 31. Juli 1944 für den nächsten Tag zum "Mobilisierungspunkt" beorderte: "Endlich". Der Aufstand gegen die deutsche Besatzung sollte beginnen. Wie viele ihrer Generation konnte es die damals 18 Jahre alte Warschauerin kaum erwarten, dass es los ging. "Das war der Moment, auf den wir alle gewartet hatten", erzählt die Rentnerin.
Schon seit zwei Jahren war sie Mitglied der "Heimatarmee" (AK), der polnischen Untergrundarmee. Die Schülerin besuchte nicht nur im Untergrund den geheimen Gymnasialunterricht - höhere Schulbildung war für Polen verboten -, sie machte auch eine Ausbildung als Krankenschwester und lernte "Theorie des Straßenkampfes". Als sie sich nachts von ihrer Mutter verabschiedete, um in den Kampf zu ziehen, gab es allerdings Streit und Tränen, erinnert sie sich. Ihr Vater, von den Deutschen gesucht, lebte im Untergrund, der Bruder war in den ersten Kriegstagen gefallen. Nun fürchtete die Mutter, auch noch die Tochter zu verlieren.
Witold Gutkowski, gut zwei Jahre jünger, hatte bis dahin vor allem mit Pinsel und Farbe gekämpft. Der Schüler malte das Symbol der Untergrundbewegung an Hauswände, ein zu einem Anker verflochtenes PW - kurz für "Polen kämpft". "Ich war zu jung, um zum bewaffneten Kampf zugelassen zu werden", sagt der ehemalige Professor heute. Auch er erhielt am 31. Juli den Einsatzbefehl, um als Bote die Verbindung zwischen den Untergrundkämpfern zu halten.
Vom Abenteuer zum Albtraum
Für den damals fast 16-Jährigen war es zunächst ein Abenteuer, an der Barrikade nach dem Losungswort zu fragen, Nachrichten zu anderen Einheiten zu bringen. "Aber als die ersten Panzer auf die Barrikade zurollten und schossen, war das Spiel vorbei", weiß er noch. Ein Geschosssplitter durchbohrte seine Hand. In einem Feldlazarett in der Innenstadt wurde er medizinisch versorgt und landete so in der Altstadt, wo die Kämpfe am längsten dauerten.
Zwei Monate dauerte der Aufstand, doch für Halina Donath war er bereits nach elf Tagen vorbei. Im Stadtteil Ochota, abgeschnitten von den übrigen Verbänden und von einer deutschen Übermacht umzingelt, blieb den Aufständischen nur die Flucht durch die Kanäle. Ihre Gruppe verlief sich in dem stockfinsteren Labyrinth irrte drei Tage lang durch den Warschauer Untergrund - ohne Essen, ohne Wasser, in 1,20 Meter hohen und 80 Zentimeter schmalen Kanälen, wie die 78-Jährige sich erinnert.
"Die Deutschen wussten zu diesem Zeitpunkt schon, dass wir die Kanäle nutzen, und blockierten die Kanaldeckel", berichtet sie. Durst, Dunkelheit und Wahnvorstellungen machten die Odyssee zum Albtraum, dann endlich fand die Gruppe doch einen Weg ans Tageslicht. "Ich hatte damit gerechnet zu sterben. Ich dachte, nach meinem Bruder bin ich an der Reihe", meint sie nachdenklich.
Durch die Kanäle flohen auch Gutkowski und seine Mitkämpfer. Der Krieg endete für ihn in einem Gefangenenlager in Österreich. Die Erinnerungen an die Jahre der Besatzung und die Wochen des Aufstand sitzen tief. "Die ersten Jahre nach dem Krieg zuckte ich zusammen, wenn ich Deutsch hörte", sagt Gutkowski. "Aber irgendwann kam der Zeitpunkt, wo ich einem Deutschen ins Gesicht sehen konnte, ohne mich zu fragen, was er im Krieg gemacht hat."
Warschau systematisch zerstört
Die Opfer waren enorm. Etwa 18 000 Aufständische und rund 180 000 Zivilisten kamen ums Leben. Unter den zivilen Opfern waren auch tausende Juden, die sich nach der Liquidierung des Ghettos und der Niederschlagung des Ghetto-Aufstands im Frühjahr 1943 in der Stadt versteckt hielten. Als die Warschauer Bevölkerung nach dem Ende der Kämpfe aus der Hauptstadt vertrieben wurde und rund 100 000 Bürger zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurden, suchten die Besatzer gezielt nach jüdischen Flüchtlingen, die ermordet wurden. Warschau selbst wurde systematisch zerstört. In einem Befehl von SS-Führer und Polizeichef Heinrich Himmler hieß es damals, die Welt solle sehen, was mit einer Stadt geschieht, die es wage, sich gegen das nationalsozialistische Deutschland zu erheben.
Mit Beginn des kommunistischen Regimes in Polen 1947 wurde der Aufstand offiziell totgeschwiegen. Viele Offiziere der AK fanden sich nach der Gefangenschaft in deutschen Konzentrationslagern wenige Jahre später in stalinistischen Gefängnissen wieder. Die Geschichte des Aufstands war jahrzehntelang einer "weißer Fleck" der offiziellen Geschichtsschreibung, zugleich aber tief im Bewusstsein vieler Polen verwurzelt.
Nach dem Ende des Kommunismus wurden Denkmäler zur Erinnerung an den Aufstand errichtet. Jedes Jahr schrillen am 1. August um 17.00 Uhr, der "Stunde Null" des Aufstands, in ganz Warschau die Sirenen, schmücken Pfadfinder die Gräber der Aufständischen. Die Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag werden drei Tage dauern. Mit Bundeskanzler Gerhard Schröder ist dabei erstmals ein deutscher Regierungschef eingeladen.