Gebildete Menschen sind automatisch auch tolerantere Menschen? Nein, sind sie nicht, sagt Kulturanthropolg:in Francis Seek. Ganz im Gegenteil: "Wir leben wieder in einer Gesellschaft, in der Klasse tatsächlich wieder wichtig ist", sagt Seek in der 283. Folge von "heute wichtig". Es sollen vor allem Bildungsbürger:innen sein, die andere Menschen ausgrenzen würden – und zwar auf Grund ihrer gesellschaftlichen Klasse. Klassismus ist deshalb eine Diskriminierungsform, erklärt Francis Seek: "Viele kennen wahrscheinlich Sexismus oder Rassismus. Und Klassismus ist die Diskriminierung auf Grund von sozialer Herkunft oder sozialem Status. Es richtet sich zum Beispiel gegen Arbeiterkinder, erwerbs- oder wohnungslose Menschen." Faktoren können also zum Beispiel der Schulabschluss sein, ein mögliches Erbe oder auch die berufliche Situation.
Die soziale Ungleichheit in Deutschland nimmt zu
Was klingt wie in einem Jane-Austen-Roman, ist auch heute noch fest in unserer Gesellschaft verankert, und es hat ganz konkrete Folgen. Studien aus dem letzten Jahr zeigten zum Beispiel: Von 100 Kindern von Akademiker:innen fangen 79 an zu studieren, 64 schaffen den Bachelorabschluss und sechs vollenden ihre Promotion. Dagegen fangen von 100 Arbeiterkindern nur 27 an zu studieren, 20 vollenden den Bachelorabschluss und zwei eine Promotion als höchsten Abschluss. Der Unterschied ist also erheblich.
"Den Mythos vom Tellerwäscher zum Millionär haben wir in Deutschland auch"
Francis Seek ist selbst in einem Hartz-IV-Haushalt aufgewachsen und gehört zu diesen zwei Kindern, die am Ende trotzdem promoviert haben. Deshalb ist dieses Forschungsthema eine echte Herzensangelegenheit: "Ich habe erlebt, was es bedeutet, wenn man als asozial oder ‘Unterschicht’ abgestempelt und auch ausgegrenzt wird." Geschafft hat Seek das selbst mit einem Stipendium, wodurch ein Studium möglich wurde. Den typisch amerikanischen Mythos, mit Arbeit könnte man alles erreichen, gebe es in Deutschland auch, erklärt Francis Seek: "Das ist aber leider ein Mythos, denn in den meisten Fällen funktioniert das nicht." Deshalb sei es umso wichtiger, sich bewusst darüber zu werden, wie prägend Klassismus für die Gesellschaft sei. Zudem müsse die Thematik auch in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz integriert werden, fordert Kulturanthropolg:in Francis Seek.

Podcast "heute wichtig"
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