Man kann über Markus Söder vieles sagen, aber ganz blöd ist er nicht. Natürlich war ihm schon lange klar, dass Friedrich Merz Kanzlerkandidat der Union wird, wenn der CDU-Chef es will. Söder weiß, dass ihm die CDU in ihrer großen Mehrheit verübelt, wie er 2021 immer wieder gegen den damaligen Kandidaten Armin Laschet stichelte. Und er weiß, dass die CDU diesmal die Harmonie über alles stellt, weshalb selbst einstige Anhänger Angela Merkels sich in eine Kandidatur von Friedrich Merz fügen, dem sie noch vor wenigen Jahren zweimal die Einreise, pardon den Einzug an die Parteispitze verweigert haben. Die Ausgangslage mit dem gewaltigen Vorsprung in den Umfragen birgt für die Union ein oberstes Gebot: Jetzt bloß nicht wieder Streit.
Aber wenn er das doch alles weiß, der Markus Söder, warum hat er sich dann bis fast zuletzt so aufgeführt? Wenn doch mit Friedrich Merz schon länger alles klar war, wie Friedrich Merz behauptet, warum hat Söder sich dann noch einmal mit dem Satz nach vorne gedrängt: "Ich würde mich nicht drücken, Verantwortung für unser Land zu übernehmen"?
Es gibt eigentlich nur eine plausible Erklärung: Markus Söder, 57, schielt auf die Zeit nach Friedrich Merz. Und er meint damit nicht die Zeit in ein paar Jahren, wenn Merz über 70 sein wird, sondern die Zeit in ein paar Monaten. Noch vor der Wahl.
Armin Laschet hatte sich 2021 erst am 20. April gegen Söder durchgesetzt. Danach waren es nur noch fünf Monate bis zur Bundestagswahl. Das reichte locker, um eine sicher geglaubte Kanzlerschaft in ein politisches Debakel mit tragischen Zügen zu verwandeln. Ein Lachen im Angesicht der Flutkatastrophe genügte – und natürlich ein paar Seitenhiebe aus Bayern.
Markus Söder hofft auf ein Straucheln
Wenn Friedrich Merz nach der Landtagswahl in Brandenburg seine Kandidatur in den Parteigremien absegnen lässt, ist es noch ein ganzes Jahr bis zur Bundestagswahl, jedenfalls wenn sie regulär stattfindet. 12 Monate, das ist mehr als doppelt so viel wie bei Laschets Wahlkampf 2021. Dem sonst charakterlich eher wohltemperierten Laschet machte eine einzige Unachtsamkeit den politischen Garaus – Merz hingegen muss ein ganzes Jahr lang sein leicht erhitzbares Temperament gekühlt halten. Anders gesagt: Ein Jahr ist lang, aber Merz‘ Zündschnur ist kurz.
Markus Söder hat seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur nicht geltend gemacht, um es jetzt zu werden. Er wusste, dass das nichts wird. Aber wenn Merz ins Schlingern gerät, dann steht Söder bereit. Wenn dem CDU-Chef die Gäule durchgehen, wie es ihm in der Vergangenheit immer mal wieder passiert ist; wenn der Oppositionsführer hin- und hereiert wie zuletzt bei den Migrationsgesprächen mit der Bundesregierung; wenn er etwas fordert wie den Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen und dann merkt, dass das gar nicht geht. Kurz: Wenn er Fehler macht, wenn er den Vorsprung der Union verspielt, wenn schon wieder ein sicher geglaubter Sieg in Gefahr gerät. Dann könnte es sein, dass sie ihn doch noch rufen, den Umfragen-König aus München. Denn eine solche Schlappe könnte sich die Union kein zweites Mal leisten.
Markus Söder wird sich in den nächsten Monaten brav verhalten. Ihm soll niemand einen Vorwurf machen können, wenn es mit Merz doch nicht so gut läuft. Der Satz, den Söder über sich nicht provozieren will, lautet: "Geht das schon wieder los?". Der Satz aber, auf den Markus Söder von nun an warten wird, lautet: "Hätten wir bloß den Markus Söder genommen." Bei Laschet war keine Zeit mehr, den Kandidaten auszutauschen. Bei Merz könnte das anders aussehen.
Und was ist mit Hendrik Wüst? Wenn Merz strauchelt, könnte Söder mit einem gewissen Recht argumentieren, dass man es nach zwei gescheiterten CDU-Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen nicht mit einem dritten, sondern vielleicht doch mal mit einem CSU-Mann aus Bayern versuchen könnte. Und ohne die Zustimmung der CSU wird Wüst sowieso nicht Kandidat. Sagen wir so: Die Kanzlerkandidatur der Union ist entschieden –mal sehen, für wie lange.