Kanzler im Bundestag Olaf Scholz als Wahlkämpfer: Der Plattmacher

Befragung Olaf Scholz
Ich? Was habe ich damit zu tun? Olaf Scholz sieht für Probleme in Deutschland viele Schuldige. Nur sich selbst nicht
© Michael Kappeler / dpa
In der Regierungsbefragung im Bundestag präsentiert sich Kanzler Olaf Scholz in Kampagnenlaune: von A wie Attacke bis Z wie Zurückschlagen. Fehler? Machen nur die anderen. 

Seine Gegner sollten eines nicht unterschätzen: Olaf Scholz liebt Wahlkampf. Eine Stunde lang hat er sich am Mittwoch den Fragen der Abgeordneten im Bundestag gestellt. Eigentlich als Kanzler, aber in Wahrheit schon als Kanzlerkandidat. Da war von Demut nichts zu sehen, von Selbstkritik nichts zu hören. Nicht gehaltene Versprechen? Lag an den Umständen. Fehler? Machen immer nur andere.

Scholz präsentierte sich im Wahlkampfmodus von A wie Attacke bis Z wie Zurückschlagen. Der Kanzler mag nach Friedrich Merz, Robert Habeck und Alice Weidel der Nachzügler unter den Kanzlerkandidaten sein, derjenige, der im eigenen Laden die größten Zweifel zu überwinden hatte. Aber er ist definitiv der erste, dessen Motor schon auf vollen Touren läuft. Und der Mann hat auch noch Spaß dabei. 

Olaf Scholz gewährt den Blick ins Waffenarsenal

Zu Beginn der Regierungsbefragung gab sich Scholz staatsmännisch. Die Zeit bis zu den Neuwahlen solle keine Phase des Stillstands sein. Die Opposition möge ihn bitte unterstützen, wenn demnächst mehrere Gesetze zur Entlastung der Bürger aufgerufen würden: kalte Progression, Kindergeld und Kinderzuschlag, Deutschland-Ticket, Mietpreisbremse und die Strompreise. Der Kanzler, scheinbar ganz überparteilich.

Was Scholz mit dieser Aufzählung eigentlich beabsichtigte, war natürlich, der Opposition einen Blick ins Waffenarsenal zu gewähren. Jedes Projekt, bei dem die Union nicht mitmacht, will er Friedrich Merz offenkundig persönlich wie ein Halseisen umhängen, ehe er ihn auch noch an den Pranger zerrt: Seht her, Bürgerinnen und Bürger, dieser Mann gönnt Euch nichts. 

Alle sind schuld am fehlenden Wirtschaftswunder. Nur Scholz nicht

Was hat die Union dem entgegenzusetzen? Die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner, einstmals Landwirtschaftsministerin im selben Kabinett wie Olaf Scholz als Finanzminister, will wissen, was aus dem Wirtschaftswunder geworden ist, das Scholz während seiner Kanzlerschaft versprochen hat. Dass es dieses Wunder wirklich gibt, kann der Kanzler bei null Wachstum schwerlich behaupten. Aber warum es das nicht gibt, dafür hat er jede Menge Gründe parat: eine schwächelnde weltwirtschaftliche Nachfrage, den russischen Krieg gegen die Ukraine, hohe Energiepreise – und natürlich all die Bürokratie, die CDU-Regierungen aufgebaut hätten, sowie die Blockade der Unions-Parteien beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Moment mal, fehlt da nicht was? Versäumnisse seiner Regierung? Gibt’s nicht.

Mit ihm oder seinem Wirtschaftsminister hat das alles nichts zu tun. Findet Scholz. Die vielen Investitionen würden sich schon noch auszahlen. Dass manche davon, wie rund 600 Millionen Euro beim Batteriehersteller Northvolt, bereits so gut wie futsch sind, mache solche strategischen Subventionen nicht grundsätzlich verkehrt, findet Scholz. Seinen Wirtschaftsminister Robert Habeck will er jedenfalls nicht rausschmeißen: "Das habe ich nicht vor und das werde ich auch nicht tun."

Olaf Scholz und Boris Pistorius: ein Herz und eine Seele

Dasselbe Bild bei der Bundeswehr. Da wird Scholz auch persönlich: Merkel, Schäuble, Guttenberg, die hätten beschlossen, dass an der Bundeswehr gespart und die Wehrpflicht abgeschafft werden solle. Von seiner eigenen Blockade als Finanzminister gegenüber Rüstungsprojekten? Keine Rede. Scholz macht einfach jeden Vorhalt platt. Erst jetzt, da wieder ein Sozialdemokrat das Sagen im Verteidigungsministerium habe, gehe es der Bundeswehr wieder richtig gut, lobt Scholz. Boris Pistorius sitzt schräg hinter dem Kanzler auf der Regierungsbank und nickt eifrig. Der Um-ein-Haar-Kanzlerkandidat der SPD ist übrigens der einzige leibhaftige Bundesminister, der sich zur Fragestunde des Chefs in den Bundestag bemüht hat. Ein Herz und eine Seele. Die Leute sollen offenbar glauben, dass zwischen Scholz und Pistorius kein Blatt Papier passt, wie man unter sozialdemokratischen Alpha-Männchen schon früher gerne mal behauptet hat.

So also ist die Lage, wie der Kanzler sie sieht. Und für jeden Missstand gibt es einen Schuldigen. Nur nie Scholz. Dass der Gesetzentwurf für die Mietpreisbremse erst jetzt vorliege: Schuld der FDP. Dass zu wenig Bauland ausgewiesen werde: an vielen Orten auch Schuld der Linkspartei. Dass beim Bürgergeld manches im Argen liegt: Die Union hat doch dem Gesetz in der jetzigen Fassung zugestimmt.

Bleibt noch das Thema Ukraine. "Sehr, sehr lange" habe er sich in Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj unterhalten, berichtet Scholz. "Zweieinhalb Stunden" und "sehr intensiv". Soll bloß keiner auf die Idee kommen, der Kanzler werde in der Ukraine schon wie ein Auslaufmodell behandelt. Und all die Kritiker in den europäischen Hauptstädten, die sich öffentlich über sein Telefonat mit Wladimir Putin beschwert hatten? Im direkten Gespräch mit ihm habe das niemand wiederholt, behauptet Scholz. Den Taurus werde es für die Ukraine nicht geben, deutsche Soldaten "in dieser Kriegssituation" auch nicht. 

Den FDP-Abgeordneten Marcus Faber, der versucht, den Kanzler mit der wiederholten Formulierung "Ihr Nachfolger" zu provozieren, lässt Scholz mit den Worten abblitzen: "Für eine Partei, die mit der Fünf-Prozent-Hürde zu kämpfen hat, sind Sie ganz schön tapfer." Und der Kanzler vergisst nicht, noch etwas hinzuzufügen, damit es auch der allerletzte Zweifler noch kapieren möge: "Ich will auch selbst mein eigener Nachfolger werden." Wer hätte das gedacht.