Olaf Scholz verneigt sich, genießt den Applaus und vereinzelten Jubel. Fast eine Stunde lang hat er skizziert, wie er sich das vorstellt: mit seiner Wiederwahl, einem erneuten Sieg für die SPD. Daran glauben wollten zuletzt nicht einmal seine eigenen Genossen, jedenfalls nicht mit ihm als Spitzenkandidaten. Nun wirken die Zweifel wie weggeblasen.
Alles wieder gut? Geht da wieder was? So viel lässt sich nach diesem Samstagvormittag sagen, sicher zur Erleichterung des angeschlagenen Amtsinhabers, aber auch der Parteiführung: Mit diesem Olaf, angriffslustig und geradeaus, können sie hier etwas anfangen.
Mathias Miersch ist schon mal Feuer und Flamme. Als neuer SPD-Generalsekretär hat er die "Wahlsiegkonferenz" in der Berliner Parteizentrale organisiert. Nun eilt er zu Scholz auf die Bühne, ruft begeistert in den Beifall der versammelten Bundestagskandidaten und ihrer Wahlkampfteams: "Du bist der richtige für Deutschland!" Es folgt ein beherzter Schlag auf einen roten Buzzer, Trailer ab: "Gewählt, um zu bleiben" flimmert es über die Leinwand. Jetzt gilt's.
Noch 85 Tage bleiben der SPD, um das Ruder herumzureißen, die aktuellen 14 Umfrageprozent in einen Sieg zu verwandeln. Die Konferenz soll der offizielle Startschuss in einen "kurzen, knackigen" Wahlkampf sein, wie Parteichefin Saskia Esken sagt. Von einem "harten Ritt" spricht auch Co-Chef Lars Klingbeil. "Heute beginnt die Aufholjagd."
Olaf Scholz gegen die "Heißsporne"
Olaf Scholz nimmt in seiner ersten Wahlkampf-Rede explizit "die demokratische Mitte" ins Visier. Der zentrale Satz seiner Erzählung: "Die Partei der Mitte – das ist bei dieser Wahl die SPD!" Die Botschaft: Die anderen sind’s nicht, haben nicht die breite Mehrheit im Blick, kriegen es nicht gebacken. Ob mit der Wirtschaft, dem Sozialstaat oder dem Ukraine-Krieg.
Die "Merz-Union"? Stellt Scholz als rückwärtsgewandt dar, in jeder Hinsicht. Ob bei Bürger- und Frauenrechten, Renten und Löhnen. "Unser Land ist längst viel weiter als Friedrich Merz und die Seinen!", ruft Scholz.
Die Grünen? Machten Klimaschutz mit der "grünen Brechstange", stünden für viele im Land nur noch für Gängelung und Bevormundung.
Die "Lindner-FDP"? Sei marktradikal, eine Klientel-Partei. Über Monate hinweg hätten die Liberalen die Regierung "systematisch sabotiert", schimpft der Kanzler. Er spielt damit auf ein internes FDP-Papier an, in dem ein Koalitionsbruch bis zur "offenen Feldschlacht" skizziert wurde. Scholz stürzt sich mit markigen Worten selbst hinein.
Das ist das Narrativ, der Grundsound des Kanzlers: Ich kann’s, die anderen nicht. "In solchen ernsten Zeiten braucht unser Land ernsthafte Politik", sagt er schon zu Beginn seiner Rede. Keine Spieler, Zocker oder riskanten Abenteuer. Der Kanzler inszeniert sich als Stabilitätsfaktor, Stimme der Vernunft. "Wenn wir jetzt falsch abbiegen in Deutschland, in dieser Lage, dann hat das schwerwiegende Folgen."
Die größtmögliche Fallhöhe – und eine gewagte Strategie.
Sein Image als Regierungsprofi ist spätestens seit dem Ampel-Aus schwer lädiert. Ein Malus, den der Kanzler mit seinem Kurs der Besonnenheit im Ukraine-Krieg offensichtlich wettmachen will. Die anderen tut Scholz als "Heißsporne" ab, die leichtfertig mit Deutschlands Sicherheit spielen würden.
Spielt Scholz mit der Kriegsangst der Deutschen, ihrer Sorge vor einer Eskalation?
Diesen Vorwurf gibt’s, der Kanzler widerspricht vehement. Sicher ist, dass die Frage von Krieg und Frieden eine zentrale Rolle in seinem Wahlkampf spielen wird. Er sich als Garant darstellen wird, dass es zu keiner Eskalation komme. Und die Konkurrenz als unüberlegt, mitunter gefährlich.
So habe Friedrich Merz "der Nuklearmacht Russland" ein Ultimatum gestellt, dass im Zweifel dazu führen könnte, dass auch deutsche Marschflugkörper weit nach Russland geschossen werden. "Ich kann da nur sagen: Vorsicht!", warnt Scholz betont alarmiert. "Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch-Roulette." Bei der anstehenden Wahl würden die Bürger entscheiden, welcher Kurs sich durchsetze. "Je mehr Putin den Krieg anfacht, desto kühler muss unser Kopf sein." Scholz verspreche, neben der anhaltenden Unterstützung für die Ukraine: "Ich bleibe standfest und besonnen. Darauf können sie sich verlassen!"
"Unsere Partei ist mir eine Heimat"
Mit dem Finger auf die möglichen oder angeblichen Absichten anderer zu zeigen, dürfte nicht reichen – das hat schon der US-Wahlkampf gezeigt. Kamala Harris hatte sich energisch an Donald Trump abgearbeitet, dabei aber ihr eigenes Profil vernachlässigt und eine krachende Niederlage kassiert. Diesen Fehler will Scholz offensichtlich nicht machen.
Und so rattert er neben den Attacken gegen die Konkurrenz eine ganze Reihe an SPD-Parteiprosa runter, erneuert teils altbekannte Versprechen nach stabilen Renten, mehr Kita-Plätzen, höheren Steuern für Superreiche und mehr bezahlbaren Wohnraum. Manches deutet Scholz aber auch erstmals konkret aus.
So will Scholz etwa "ab 2026" einen Mindestlohn von 15 Euro, womit er sich erneut einen Eingriff per Gesetz vorhält – eigentlich regelt eine Kommission die Höhe. Für 2025 schwebt ihm ein "fester Deckel" für Netzentgelte von 3 Cent vor, um die Industriestrompreise zu senken. Investitionen sollen durch einen "Made in Germany"-Bonus und einen "Deutschlandfonds" gefördert werden.
Das sorgt immer wieder für engagierten Szeneapplaus im Willy-Brandt-Haus, das an diesem Vormittag einer roten Wagenburg gleicht. Am Eingang werden rote Jutebeutel und Schals verteilt, die der Slogan "Soziale Politik für Dich" ziert. Im gesamten Atrium springen einen die Kampfansagen der Genossen für Familien oder Gerechtigkeit an. Es gibt rote Gummibärchen in roten Tütchen. Würde die Statue von Willy Brandt eine Scholz-Kappe tragen, es würde einen nicht wundern.
Überraschender ist da schon die neue Begeisterung für Scholz. Die SPD hat im Kanzler zwar nun ihren offiziellen Kanzlerkandidaten gefunden, eigentlich eine naheliegende Entscheidung. Doch aufgrund seiner niedrigen Popularitätswerte war zunächst eine tagelange Debatte in der SPD entbrannt, die von der Basis bis in die Bundestagsfraktion reichte, ob nicht lieber Beliebtheitsminister Boris Pistorius ins Rennen gehen sollte.
"Die Sozialdemokratie steht zusammen, die Sozialdemokratie ist hochmotiviert", beschwört Parteichef Klingbeil die anwesenden Genossen aus den Wahlkreisen und ihre Wahlkampfteams. Sie sind diejenigen, die bei Eiseskälte Plakate hängen und Flyer verteilen, nicht zuletzt den Kanzler auf den Marktplätzen verteidigen müssen. Folglich geht es für Scholz bei der Wahlkampf-Konferenz auch darum, jede Restzweifel an seinen Qualitäten als Zugpferd zu zerstreuen.
"Unsere Partei ist mir eine Heimat", betont der am Schluss seiner Rede. Kommendes Jahr werde er 50 Jahre SPD-Mitglied sein. Sein Versprechen: Er werde in den nächsten 85 Tagen alles geben – "wirklich alles" –, was er geben könne. "Aber dabei brauche ich euch", ruft Scholz in die Menge.
Manche hätten die SPD schon abgeschrieben, wie schon 2021. "Hört nicht auf sie", lautet Scholz' Appell. Sie hätten sich damals geirrt, würden es auch diesmal tun. "Ihr wisst, wie Wahlkampf geht. "Ich weiß, wie Wahlkampf geht. Da werden sich also einige noch ganz schön wundern."