Ukraine-Krieg Russische Falschinformationen verbreiten sich auf deutschen Smartphones

Frau schreibt SMS an einem Smartphone.
Nur jeder vierte Internetnutzer überprüft fragwürdige Internetberichte mit Faktencheckern (Symbolbild)
© Blend Images/Inti St Clair / Picture Alliance
In den sozialen Medien kursieren seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine Falschinformationen. Die kurzen Videoclips machen Stimmung gegen die Ukraine und treffen in Deutschland zunehmend auf furchtbaren Boden.

Ein Mann reißt in einem Supermarkt Produkte aus den Regalen. Das Video, das die Szene zeigt, sorgt in sozialen Netzwerken für mächtig Empörung. Im Raum steht die Behauptung, der Randalierer sei Ukrainer und habe in einem russischen Geschäft in Regensburg gewütet. Doch das ist gelogen. Der Clip zeigt vielmehr einen jahrealten Vorfall mit einem Betrunkenen in der russischen Stadt Uljanowsk.

Falschbehauptungen wie diese sind im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine aktuell gehäuft zu beobachten. Videos werden aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen, neue Zusammenhänge ohne jegliche Belege hergestellt. Die Kreml-Propaganda, barbarische Ukrainer würden nicht vor Zerstörung und Gewalt gegen Russen zurückschrecken, fällt auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden.

Fall Euskirchen: Nichts entspricht der Wahrheit

Wie im Fall Euskirchen. Eine Frau verbreitet Mitte März per Selfie-Video weinend auf Russisch, in der Stadt nahe Bonn hätten ukrainische Flüchtlinge einen 16-jährigen Jungen, der Russisch sprach, zu Tode geprügelt. Sie kenne die betroffene Familie persönlich. Weil der zuerst auf Tiktok erschienene Clip später auch bei Facebook und Whatsapp landet, erreicht er eine Vielzahl von Menschen. Zudem teilt eine prorussische Influencerin das Video via Telegram an ihre mehr als 100.000 Abonnenten.

Allein: Nichts an dem Fall entspricht der Wahrheit. Die Polizei hat keinerlei Informationen zu solch einem gewalttätigen Übergriff oder gar Todesfall. Stattdessen nimmt der Staatsschutz wegen des Videos Ermittlungen auf. Später entschuldigt sich die Frau für ihren Clip. Der Fake wird schnell entlarvt, weil die Behörden rasch reagieren.

Doch warum hatte dieser Clip der weinenden Frau solch eine Wirkung? "Wir wissen, dass die Nachrichten, die stark emotionalisieren und die aktivierend wirken, dann auch am stärksten weiterverbreitet werden", sagt der Politikwissenschaftler Josef Holnburger der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Er ist einer der Geschäftsführer des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das in sozialen Medien unter anderem Radikalisierungstendenzen und die Verbreitung von Verschwörungserzählungen beobachtet. Vermeintlich persönliche Bezüge machten Videos besonders viral, dann würden sie auch mit Bekannten geteilt. "Das sind vor allem Sprachnachrichten und kurze Videos."

Seevetal: Aufnahmen werden in falschen Kontext gesetzt

Ortswechsel: Seevetal. In der Stadt nahe Hamburg werden Ende Februar mehr als zwei Dutzend Linienbusse beschädigt. Es gibt das Handy-Video einer Mitarbeiterin, das den Vandalismus auf dem Firmengelände zeigt. Die Aufnahme ist zwar echt, doch wird die Tat in sozialen Netzwerken aufgebauscht: Der Unternehmenschef sei angeblich Russlanddeutscher, dessen ethnische Herkunft das Motiv für die Attacke.

Doch auch das ist geschwindelt. "In unserer Geschäftsführung hat niemand einen auch nur mittelbar russischstämmigen Hintergrund beziehungsweise eine entsprechende Herkunft", teilt ein Sprecher des Unternehmens mit. Die Polizei schließt eine politische Motivation im Zusammenhang mit der behaupteten Ethnie der Geschäftsführung aus. Das Video wird also in einem völlig anderen Kontext lanciert. Wer von den Nutzern die Richtigstellung überhaupt mitbekommt, ist fraglich.

Falschbehauptungen wie diese verbreiten sich rasant und werden häufig ohne Gegencheck weitergeleitet. Dem Branchenverband Bitkom zufolge überprüft gerade einmal jeder vierte Internetnutzer (28 Prozent) fragwürdige Berichte mit Recherchen von Faktencheckern. Nach der Umfrage vom März sind aber 56 Prozent der Befragten eigenen Wahrnehmungen zufolge in Social Media schon auf Fake-News gestoßen.

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© Twitter/CinemaPeople_
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Russlands Propaganda verbreitet sich in sozialen Medien

In Zeiten, in denen der Informationshunger über den Krieg immer mehr via soziale Netzwerke gestillt wird, kann das zum Problem werden. Gerade weil dort eine richtige Einordnung schwierig ist und gewisse Zeit in Anspruch nimmt. "Wenn man sich nicht sicher ist, ob eine Nachricht korrekt ist, sollte man sie nicht unüberlegt teilen, sondern den Urheber überprüfen, Inhalte über eine Suchmaschine verifizieren und Faktenchecker-Angebote nutzen", teilt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder mit.

Eine Rolle könnten dabei Menschen spielen, die etwa in der russischen Diaspora in Deutschland eine besondere Stellung einnehmen - Musiker oder Schauspielerinnen. Jüngst äußerte sich etwa Sängerin Helene Fischer, eine gebürtige Russin, zum Angriffskrieg. "Tagtäglich die Bilder von zerrissenen Familien; von Vätern, Brüdern, Soldaten, Ehemännern, die sterben müssen. Von Frauen, die flüchten müssen." Sie trug bei ihrem Auftritt eine Schleife in den Nationalfarben der Ukraine. Das offizielle Kreml-Narrativ ist, die "Spezialoperation" im Nachbarland richte sich hauptsächlich gegen Militärziele.

Medienkompetenz muss gestärkt werden

Öffentliche Schritte wie diese wirken Holnburger zufolge am effektivsten. Zudem müsse im Privaten die Medienkompetenz gestärkt werden - vor allem in der Generation, die nicht mit sozialen Netzwerken aufgewachsen sind.

Im Kontext des Ukraine-Krieges werden Nachrichten über einen gesteigerten Rassismus gegen Russen in Deutschland wahrgenommen. Kurz nach Beginn der Invasion heißt es von Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Wir wehren uns ganz entschieden dagegen, dass Menschen aufgrund ihrer russischen Herkunft oder Sprache angefeindet oder diskriminiert werden." Und dennoch dürften erfundene Geschichten wie die aus Regensburg, Euskirchen oder Seevetal nicht ungeprüft weitergereicht werden, sagt Holnburger. Denn: "Das ist nicht die Realität."

DPA
Sebastian Fischer/ jus

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