Berliner Regierung Die Selbstzerstörung der SPD – oder: Warum das Bündnis mit der CDU den Niedergang für die Genossen bedeutet

Kai Wegner, CDU, und Franziska Giffey, SPD im Abgeordnetenhaus Berlin
Kai Wegner, CDU, und Franziska Giffey, SPD, im Abgeordnetenhaus Berlin
© Sean Gallup / Getty Images
Der Auftakt der schwarz-roten Koalition in Berlin war schlecht. Dennoch ist sie gut für die CDU und verheerend für die Sozialdemokraten. Ein Kommentar

Bravo, Frau Giffey. Sie sind jetzt Wirtschaftssenatorin, und keine Regierende Bürgermeisterin mehr. Hat gerade so geklappt. Drei Wahlgänge waren nötig, um Ihren Nachfolger Kai Wegner ins Amt zu hieven. Aber das ist bald vergessen. 

Aber warum eigentlich Wirtschaftssenatorin? Mit der Wirtschaft hatten Sie bisher wenig am Hut, in einem Unternehmen gearbeitet haben Sie auch nicht. Okay, das sind nur Kleinigkeiten. Hauptsache, Sie sitzen irgendwo in einem schönen Büro.  

"Berlin braucht mich", haben Sie bei Markus Lanz gesagt. Äh ja. Aber wofür?

Also, die dringenden Probleme dieser Stadt wollen Sie schon mal nicht lösen. Die heißen: Wohnen, Verwaltung, Verkehr und Sicherheit. Wie komme ich an eine bezahlbare Wohnung? Warum klappt es nicht mit meinem Pass-Antrag? Wie bewältigt die Stadt die Blechlawine? Ist mein Kiez sicher? Das sind die Probleme, die Berliner beschäftigen, doch darum kümmern Sie sich nicht, das tun andere. Sie sitzen in ihrem neuen Amt, halten schöne Graphiken zum Wirtschaftswachstum in die Kameras, was nicht schwer ist. Berlin wuchs zuletzt fast dreimal so stark wie die Bundesrepublik.

Auf Instagram posten Sie ein paar Bildchen, berlinern kräftig, wenn Ihnen ein Mikro entgegengehalten wird. Fertig. So geht Politik. Aber das wissen Sie ja. Haben Sie bisher auch so gemacht.  

Warum Sie aber glauben, mit Wirtschaftsthemen bei SPD-Wählern punkten zu können, ist mir schleierhaft. Bisher sind die Genossen auf diesem Feld mit ihrer Kompetenz kaum durchgedrungen. Das ist ungerecht, denn die Sozialdemokraten haben durchaus fähige Wirtschaftsexperten, doch für diese Themen wählt kaum jemand die SPD. Es passt nicht zum Profil. Dem Porsche-Fahrer Christian Lindner würde auch keiner abnehmen, wenn er plötzlich die Vorzüge von Lastenrädern loben würde.

Schlechte Wahlergebnisse geholt

Und braucht die Berliner SPD Sie wirklich, Frau Giffey? Ich fürchte nicht. Außer die Partei will den Weg der Selbstzerstörung weiter gehen. Zweimal haben Sie für die SPD in Berlin das schlechteste Ergebnis aller Zeiten geholt. 21,4 Prozent vor anderthalb Jahren, was Sie diesmal noch unterboten haben, mit 18,4 Prozent. In ihrem Heimatbezirk Neukölln sind Sie regelrecht abgestürzt von 40,8 Prozent auf 29,6 Prozent der Erststimmen, und haben gegen einen Bezirkspolitiker verloren. Menschenfischen geht anders.

Der Rückhalt in den eigenen Reihen schwindet auch. Wer als Landeschefin nur gut die Hälfte der Mitglieder für eine Koalition begeistert, der wird auch sonst wenig zugetraut. Die ersten Rufe, dass Parteiamt aufzugeben, werden schon laut.

Eine Machtoption jenseits der CDU fehlt ebenfalls. Ihr Taktieren hat Grüne und Linke so verprellt, dass dort keiner mehr mit der SPD koalieren will, jedenfalls nicht solange Sie und ihr Mitstreiter Raed Saleh dort wirken.

Politik ist kein Ponyhof

Natürlich kann ich auch verstehen, dass Sie aus der früheren Koalition herauswollten. Rot-Grün-Rot war anstrengend. Ständig der Streit mit Bettina Jarasch von den Grünen, die für Ihre schlichten Botschaften nicht zu haben war. Dann noch die Linken, die regelmäßig die Wohnungsbaugesellschaften enteignen wollten. Sehr unschön. Die Schlagzeilen der Bild-Zeitung piesackten auch; wer will sich schon als "Macht-Klette" bezeichnen lassen, die an "ihrem Sessel klebt". Liest keiner gern.

Politik ist aber kein Ponyhof. Das mussten auch Kohl, Schröder, Merkel, Scholz lernen, wer oben ist, muss einiges aushalten. Die Nähe zur Macht hinterlässt Kratzer, das spürt derzeit auch Robert Habeck. Nur: Keiner muss in die Politik wechseln, die Arbeit ist immer noch freiwillig, und wer dort kochen will, muss die Hitze aushalten, oder gehen. Das sind die Regeln.

Und die Bild-Zeitung? Muss man dazu viel sagen? Ein Blatt, das deren oberster Chef als Propaganda-Postille für die FDP nutzen will? Sozialdemokraten konnten von der Springer-Presse selten Gutes erwarten. Als die CDU in Hamburg bei der Bürgerschaftswahl 2001 über vier Prozentpunkte verlor und bei 26,2 Prozent landete (die SPD blieb stabil bei 36,6 Prozent), schmiedete CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust ein Bündnis mit dem Rechtspopulisten Ronald Schill. Dass sich hier ein Wahlverlierer an die Macht robbte, interessierte kaum jemanden. "Wählerwille"? Bloß nicht.   

Berlin kann von Schwarz-Rot profitieren

Dass eine Regierung Rot-Grün-Rot an der Macht geklebt und den Wählerwillen ignoriert hätte, ist Unsinn. Man muss nur ein wenig rechnen, was Journalisten ungern tun. Rot-Grün-Rot hätte 90 von 150 Mandaten gehabt, Schwarz-Rot hat nur 86. Wer Demokratie so versteht, dass eine Regierung das Volk bestmöglich abbilden sollte, hätte sich für Rot-Grün-Rot entscheiden müssen, auch wenn die Arbeit schwierig geworden wäre. Aber leicht kann jeder.

Für die Stadt muss die neue Koalition nicht schlecht sein. Der neue Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, ist geschickt. Er, den manche in der CDU vor kurzem noch ablösen wollten, hat sich in Lichtgeschwindigkeit modernisiert, die Jacke des rüpelhaften Konservativen aus dem Wahlkampf abgelegt und den Anzug des modernen Großstadt-Politikers übergeworfen. In seinen Teil der Regierung holt er Fachleute aus allen Lagern und spricht so auch Wähler an, die nicht nur an die Dreifaltigkeit von Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Friedrich Merz glauben. Der verstaubten Berliner Politik tut das gut.

Der Koalitionsvertrag ist auch nicht schlecht, jedenfalls nach dem, was auf dem Papier steht. Wie die hübschen Pläne allerdings bezahlt werden sollen, nun ja, …, lassen wir das.

Ob die neue Regierung aber wirklich stabiler sein wird, als ihre Vorgängerin? "Schau'n mer mal", sagen sie in Bayern. Der Auftakt ist jedenfalls misslungen. Wer drei Wahlgänge braucht, um den Regierenden Bürgermeister zu wählen, ist nicht sonderlich verlässlich. Übrig bleiben Schrammen an beiden Parteien, besonders bei den Sozialdemokraten. 

Für die SPD ist die neue Koalition verheerend. Sie hat den eigenen Macht-Anspruch aufgegeben, die Mitgliederbasis gespalten, ihre Macht-Optionen für die Zukunft verloren und wird von zwei Parteichefs geleitet, die humpelnd ins Ziel kommen. Es scheint so, als hätten Sie sich, Frau Giffey, den Youtuber Rezo zum Vorbild genommen, nur da liegt ein Missverständnis vor. In Rezos Video ging es nie um die Zerstörung der SPD in Berlin.

Bravo, Frau Giffey.