Ganz so klar ist es dann doch nicht. "Das Ergebnis zeigt", konkretisiert Franziska Giffey am Montagmorgen, "dass sich die Mitglieder die Entscheidung alles andere als leicht gemacht haben." Gemeint sind: Die 54,3 Prozent der Berliner SPD-Mitglieder, die für eine Koalition unter Führung der CDU in der Hauptstadt gestimmt haben. Am Abend zuvor hatte sich Giffey noch erleichtert über das "klare Ergebnis" gezeigt.
Zumindest die Erleichterung dürfte bleiben. Eine mehrheitliche Ablehnung des Koalitionsvertrags wäre gewissermaßen ein Misstrauensantrag gegenüber den Co-Landesvorsitzenden Giffey und Raed Saleh gewesen, die vor der SPD-Mitgliederabstimmung wochenlang und vehement für die Große Koalition geworben hatten. Sie haben sich durchgesetzt. Dennoch: Ein unbedingter Erfolg ist das knappe Ergebnis nicht.
Es zeigt vielmehr eine zerrissene SPD, die trotz bemerkenswerter Zugeständnisse der Christdemokraten gerade so den Weg für die Große Koalition frei macht. Obwohl die CDU nach der Wahl vor Kraft strotzt (28,2 Prozent), überlässt sie den abgestraften Sozialdemokraten (18,4 Prozent) fünf von zehn Senatsverwaltungen, zumal in Schlüsselressorts wie Inneres, Bauen und Wohnen. Der Koalitionsvertrag hat überdies einen sozialdemokratischen Sound. Bezahlbares Wohnen, Klimaschutz, gelebte Vielfalt und eine Ausbildungsoffensive gehören zu den Schwerpunkten des Vertragswerks, das "Für Berlin das Beste" verspricht. Es ist zweifellos ein Verhandlungserfolg der SPD, den dennoch nur 54 Prozent der Basis mit ihrer "Ja"-Stimme abgesegnet haben.
Nicht zuletzt bleibt die SPD in Regierungsverantwortung, allerdings werden Giffey und ihre Partei das Rote Rathaus dafür preisgeben, das seit 2001 in sozialdemokratischer Hand war. Dabei hätte die bisherige Koalition mit Grünen und Linkspartei eine größere Mehrheit als nun Schwarz-Rot gehabt, in Giffeys Augen aber offensichtlich weniger politische Perspektive. Die Wahl für die GroKo ist somit auch eine Wette auf die Zukunft: Giffey setzt darauf, dass ihre Partei an der Seite der CDU deutlich an Profil gewinnt, was sich wiederum bei der nächsten Wahl bezahlbar macht – und bestenfalls zur Rückkehr ins Rathaus führt.
Das Ziel ist ambitioniert. Schwarz-Rot hat sich viel vorgenommen, obwohl diese Koalition nicht auf lange Sicht angelegt ist: Da es sich im Februar um eine Wiederholungswahl handelte, steht der nächste Urnengang regulär schon für 2026 an. Die größte Herausforderung dürfte indes darin bestehen, so formulierte es auch Giffey, "diejenigen mit(zu)nehmen, die skeptisch und ablehnend sind". Das sind einige, wie das Mitgliedervotum zeigt.
"Mir tut das weh", sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
Insbesondere die Berliner Jusos, aber auch mehrere Kreisverbände, hatten sich klar gegen das Bündnis ausgesprochen, tragen die GroKo-Pläne nun zähneknirschend mit. Die Jusos fordern zudem personelle Konsequenzen. Giffey, die voraussichtlich einen Senatsposten in der Landesregierung übernehmen wird, wird indirekt zum Rückzug von der Parteispitze aufgefordert. "Ein Blick in die Bundespartei zeigt, dass die SPD profitiert, wenn Spitzenparteiämter und Regierungsposten getrennt sind. Das wünschen wir uns auch für die SPD Berlin", sagte Juso-Vorsitzende Sinem Taşan-Funke zum "Redaktionsnetzwerk Deutschland". Der Unmut ist offenkundig groß, der Ton für den nächsten Landesparteitag am 26. Mai ist damit gesetzt.
Erst im vergangenen Jahr wurden Giffey und Raed Saleh, Co-Vorsitzender an der Parteispitze und SPD-Fraktionsvorsitzender, in ihren Ämtern bestätigt, büßten allerdings massiv an Zustimmung ein. Trotz des knappen Votums will Saleh von personellen Veränderung nichts wissen ("Die Partei freut sich, wenn die Inhalte stimmen"), ebenso wenig will er Senatsmitglied werden – wohl auch in dem Wissen, dass die Skepsis in den eigenen Reihen groß ist. Er wolle stattdessen ein Korrektiv für die Arbeit der schwarz-roten Koalition sein und deren "Wirken, insbesondere das der CDU, als Landes- und Fraktionsvorsitzender kontrollieren und nötigenfalls korrigieren", wie er am Montag zur Deutschen Presse-Agentur sagte.

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Nicht nur Saleh dürfte das Agieren der geplante GroKo aufmerksam verfolgen. Die Vorbehalte gegenüber der Berliner CDU sind groß, die einen konservativen und polarisierenden Wahlkampf geführt hat. Vor allem eine Abfrage von Vornamen der Tatverdächtigen nach den Berliner Silvesterkrawallen hat viele nachhaltig verstört, sollten sie doch offenbar Rückschlüsse auf den ethnischen Hintergrund der mutmaßlichen Straftäter liefern.
Wenige Tage vor Ende der Mitgliederabstimmung äußerte Kevin Kühnert, Generalsekretär der Bundes-SPD und Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Tempelhof-Schöneberg, seine Bedenken gegenüber der GroKo und der Personalie Wegner, "die ich als Berliner für mehr als gewöhnungsbedürftig halte". Vom "Spiegel" ließ er sich mit den Worten zitieren: "Dieser Mann verkörpert wenig von meiner Heimatstadt, in der ich seit bald 34 Jahren lebe. Mir tut das weh." Zwar habe die SPD ausreichend Eigenanteil daran, dass die CDU bei der Berlin-Wahl so stark wurde. "Aber der Wahlkampf war davon geprägt, dass die CDU Stimmung auf Kosten ganzer Bevölkerungsgruppen gemacht hat."
Insofern geht auch Kai Wegner, der voraussichtlich zum neuen Regierenden Bürgermeister gewählt wird, mit (nicht nur) einer Hypothek in die GroKo. Er wird sich, ohne bisherige Regierungserfahrung, im Regierungsalltag beweisen müssen – und neben den Bürgerinnen und Bürgern auch die Sozialdemokraten von sich überzeugen müssen. Mit Blick auf den Koalitionsvertrag, der durchaus eine sozialdemokratische Handschrift trägt, könnte das für Enttäuschungen bei der eigenen Kernklientel sorgen.
Formal steht Schwarz-rot in Berlin nun eigentlich nichts mehr im Wege. Am Montagnachmittag (16 Uhr) stimmt die CDU auf einem Parteitag über den Koalitionsvertrag ab. Die Zustimmung gilt als wahrscheinlich. Im Anschluss wollen die künftigen Koalitionspartner bekannt geben, wen sie jeweils in den Senat schicken wollen. Der Koalitionsvertrag soll am Mittwoch unterschrieben, Wegner am Donnerstag im Abgeordnetenhaus zum ersten Regierenden Bürgermeister seiner Partei seit 2001 gewählt werden.