Mitte April kündigte Verteidigungsminister Boris Pistorius an, Deutschland werde der Ukraine ein weiteres Patriot-System liefern. Es ist die dritte Batterie zur Raketenabwehr aus Beständen der Bundeswehr. Die Bundesregierung verband diese Entscheidung mit dem Appell an andere Staaten, ebenfalls mehr Luftabwehrwaffen bereitzustellen. Die Patriots sind gegen die russischen Angriffe mit Lenkraketen besonders hilfreich. Man müsse, sagte Außenministerin Annalena Baerbock damals, die Systeme auf der ganzen Welt "zusammenkratzen".
Was ist daraus geworden?
Vergangene Woche reiste Baerbock in die Ukraine. Es war das siebte Mal seit Kriegsbeginn. Sie bekam einen hohen Orden für ihre Solidarität und besichtigte ein von russischen Raketen zerstörtes Kraftwerk. Zusagen über Patriot-Systeme hatte sie keine dabei.
Pistorius reiste jüngst nach Lettland. Auf die Frage nach mehr Luftabwehr für die Ukraine antwortete er dort: Es gebe viele Staaten, weltweit, aber auch in Europa, "die mehr tun können" als bislang. Er habe "keinen Schimmer", warum die anderen Nationen noch zögerten, moserte Pistorius.
Die Lage in Charkiw ist dramatisch
Olaf Scholz habe ich vor ein paar Tagen selbst erlebt, als er in Stockholm eine Pressekonferenz mit den Regierungschefs der fünf nordischen Staaten abhielt. Da hörte er viel Lob für das deutsche Engagement, aber keine konkreten Zusagen für Luftabwehrsysteme. Je länger die Pressekonferenz dauerte, desto finsterer blickte der Kanzler drein.
Rund sechs Wochen nach Beginn der deutschen Initiative fliegen russische Raketen weiter auf die Ukraine. Die Lage in Charkiw ist weiterhin dramatisch. Baerbock konnte nicht in die Stadt fahren. Zu gefährlich. Kurz danach starben viele Menschen beim Angriff auf einen Baumarkt.
Die ausbleibende Unterstützung der Ukraine mit zusätzlicher Luftabwehr ist für die deutsche Außenpolitik kein gutes Zeichen. Ihr Wort zählt in den Partnerstaaten offenbar nicht viel. Auch flehentliche Appelle aus Berlin verhallen unbeachtet, selbst dann, wenn die Bundesregierung mit einer eigenen Lieferung in Vorleistung geht.
Patriot-Debakel statt schneller Hilfe für die Ukraine
Jedes Land, das über Patriots verfügt, nennt andere Gründe, warum es nicht liefern will. Die Griechen haben angeblich Angst vor der Türkei (immerhin ein Nato-Partner). Die niederländische Außenministerin sagte zu, eine Lieferung sorgfältig zu prüfen (aber erst einmal sucht das Land einen neuen Regierungschef), Schweden will helfen (aber lieber mit Geld). Und so weiter. Wobei zur ganzen Wahrheit gehört, dass die Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren auch bei jedem der drei deutschen Patriot-Systeme für die Ukraine lange brauchte, bis sie sich zur Lieferung überwand.
Ich fürchte, das jetzige Patriot-Debakel ist schon Teil einer Aufstellung europäischer Regierungen, die nichts mit militärischen Notwendigkeiten, sondern mit taktischen Überlegungen zu tun hat. Und zwar für den nicht mehr unwahrscheinlichen Fall, dass die Ukraine den Krieg verliert. Irgendjemand wird ja daran schuld sein müssen. Und Deutschland hat gute Chancen, besonders unter Druck zu geraten.
Die Bundesregierung wird dann darauf verweisen, dass Deutschland nach den USA am meisten Waffen geliefert habe. Andere Regierungen werden antworten, es wäre nicht so schlimm gekommen, wenn Deutschland früher gehandelt hätte. Europa würde sich von einer üblen Seite zeigen. Aber natürlich wäre die Frage, wer recht hat, dann nur ein vergleichsweise kleines Problem.