Schon vor der Ansprache von Wladimir Putin wurde im russischen Staatsfernsehen mit Fahnen geschwenkt und die Nationalhymne gesungen. Doch da ging es zunächst nur um die Feierlichkeiten zur Rückkehr der russischen Olympia-Teilnehmer. Was dann folgte, ließ der Welt den Atem stocken.
In seinem Arbeitszimmer im Kreml im feinen Anzug holt Kremlchef Wladimir Putin bei einer Fernsehansprache zum Frontalangriff gegen die Ukraine aus. Das Land existiere überhaupt nur dank Russland, dank dem kommunistischen Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin, der vor mehr als 100 Jahren die Grenzen gezogen habe; Lenin sei "Autor, Architekt" der Ukraine, sagt Putin am Montag. Und trotzdem wende das Land sich ab von dieser Geschichte, habe sich zum "Marionetten-Regime" der USA machen lassen, wo radikale Nationalisten und Neofaschisten eine antirussische Politik führten.
"Die heutige Ukraine ist ganz und gar von Russland erschaffen worden", sagt Putin. Mit erhobenem Zeigefinger und Metall in der Stimme klingt er in der fast einstündigen Rede zeitweilig so, als spräche er dem Land die Daseinsberechtigung ab, als wollte er die ganze Ukraine einnehmen. "Ihr wollt eine Dekommunisierung", sagt Putin und wendet sich dabei direkt an die Ukraine. "Wir sind nicht dagegen. Wir sind bereit zu zeigen, was eine echte Dekommunisierung ist."
Putins Rede hört sich wie eine Drohung an. Und soll es auch sein
Es hört sich wie eine Drohung an. Und soll es wohl auch. Am Ende erkennt Putin die "Volksrepubliken Luhansk und Donezk" als unabhängige Staaten an – und schickt zum Entsetzen der Ukraine und des Westens russische Soldaten "zur Wahrung des Friedens" dorthin. Und er verschiebt einmal mehr die Grenzen in Europa – acht Jahre nach der Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim.
Putin klingt, als wäre er noch lange nicht fertig mit dem Nachbarland. Er hat Russen und Ukrainer immer wieder – zum Ärger Kiews – als ein Volk bezeichnet. Auch in seiner Fernsehansprache behauptet er erneut, die Ukraine habe "nie eine eigene Staatlichkeit" besessen.
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Es ist das Lieblingsthema des Hobby-Historikers. Bereits im Juli hatte Putin einen Aufsatz zur "Historischen Einheit von Russen und Ukrainern" verfasst, der im Westen mit Verstörung zur Kenntnis genommen worden war. Putin beklagt in dem damaligen Aufsatz, dass die Ukraine "Russenfeindlichkeit" zur Staatspolitik mache und vom Westen gesteuert werde. Demnach sei die "Schaffung eines ethnisch sauberen ukrainischen Staates, der aggressiv gegen Russland eingestellt ist, hinsichtlich seiner Folgen vergleichbar mit der Anwendung einer Massenvernichtungswaffe gegen uns". Vor diesem Hintergrund rechtfertigte er, die Menschen hätten in Donezk und Luhansk zu den Waffen gegriffen, "um ihre Häuser, ihre Sprache, ihr Leben zu schützen".
"Russland hat alles getan, um den Brudermord zu stoppen", schrieb Putin im Sommer. Und knüpft in seiner TV-Ansprache unmittelbar daran an, indem er von einem "Genozid" in der Ostukraine spricht und sich als Beschützer dieser angeblichen Einheit anbietet. Insbesondere wettert er gegen eine korrupte Elite und superreiche Oligarchen in der Ukraine, die Hilfsgelder für sich nutzten, aber das Volk in Armut ließen. Er kritisiert, dass sich das Land als "Opfer einer äußeren Aggression" darstelle, um die Aufmerksamkeit des Westens und das Geld auf sich zu ziehen. "Die USA und die Nato haben schamlos damit begonnen, das Territorium der Ukraine als Schauplatz möglicher Kampfaktionen zu erschließen", behauptet Putin. Den Nato-Beitritt der Ukraine bezeichnet er als "ausgemachte Sache" und versteigt sich zu der Behauptung, dass die Ukraine mit westlicher Hilfe bald Atommacht werden könne.
Putin endet mit einer direkten Warnung: Wenn das "herrschende Regime" in der Ukraine die angeblichen Kampfhandlungen nicht sofort einstelle, sei es für "eine mögliche Fortsetzung des Blutvergießens" verantwortlich.
Quellen: DPA, Süddeutsche Zeitung