Im Ukraine-Konflikt rechnet der Westen verstärkt mit einem möglichen Einmarsch Russlands in das Nachbarland. Die US-Regierung sprach von einer "sehr eindeutigen Möglichkeit" einer russischen Invasion.
Der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte, ein russischer Angriff könnte noch während der derzeitigen Olympischen Winterspiele in Peking erfolgen und würde vermutlich mit "Luft- und Raketenangriffen" beginnen, die Zivilisten töten könnten. Er rief US-Bürger auf, die Ukraine innerhalb der "nächsten 24 bis 48 Stunden" zu verlassen. Mehrere weitere Länder schlossen sich der Empfehlung an.
Satellitenfotos zeigen militärische Bewegungen
Das Pentagon kündigte zudem die Entsendung von 3000 zusätzlichen US-Soldaten nach Polen an. Es handle sich dabei um Fallschirmjäger der 82. Luftlandebrigade in Fort Bragg. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hatte bereits Anfang Februar die Entsendung von 1700 weiteren Soldaten nach Polen angeordnet. Zudem wurden US-Kampfjets vom Typ F-16 von Deutschland auf einen Stützpunkt in Rumänien verlegt, der 100 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt liegt.
Sicherheitsberater Sullivan sagte jedoch auch, die USA gingen weiterhin nicht davon aus, dass Russlands Präsident Wladimir Putin bereits eine "endgültige Entscheidung" für einen Angriff getroffen habe. Zuletzt seien aber weitere russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine eingetroffen.
Satellitenfotos zeigten verschiedene militärische Bewegungen, etwa auf der annektierten Krim oder in Belarus, an der Grenze zur Ukraine. Soldaten und Militärtechnik wurden verlegt – darunter Luftabwehrsysteme vom Typ S-400. Zudem wurden nach Angaben aus Moskau Kampfflugzeuge des Typs Suchoi Su-25SM über 7000 Kilometer aus dem Osten Russlands am Pazifik in das Gebiet von Brest nahe der polnischen Grenze gebracht.
Westen: Moskau hat mehr als 100.000 Soldaten an Grenze zur Ukraine
Das in den USA ansässige Unternehmen Maxar Technologies, das den Aufbau russischer Streitkräfte seit Wochen verfolgt und die Satellitenfotos veröffentlichte, sagte, die am Mittwoch und Donnerstag aufgenommenen Bilder zeigten bedeutende neue Einsätze an mehreren Orten auf der annektierten Krim, im Westen Russlands und in Belarus, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.
Zu den Bewegungen gehörten laut "New York Times" Truppen, Fahrzeuge und andere Ausrüstung in Novoozernoye und Slavne nahe der Westküste sowie mehr als 550 neue Zelte für Truppen und Hunderte von Fahrzeugen auf einem stillgelegten Flugplatz in Oktyabrskoe nahe dem Zentrum der Halbinsel Krim.
Die Satellitenbilder zeigen demnach auch, dass zusätzliche militärische Mittel in das Kursk-Gebiet in Westrussland verlegt wurden. Das bringt sie in die Nähe der strategischen Stadt Charkiw, der zweitgrößten der Ukraine, die eine große russischsprachige Bevölkerung hat.
Moskau hat nach westlichen Angaben in den vergangenen Monaten mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, bestreitet jedoch jegliche Angriffspläne. Russland führt an, sich von der Nato bedroht zu fühlen.

Gemeinsame Übung von Russland und Belarus
Rob Lee, ein Experte für das russische Militär und Mitarbeiter am Foreign Policy Institute, sagte der "Moscow Times", dass "das russische Militär seit dieser Woche über alle militärischen Fähigkeiten verfügt, um tatsächlich eine groß angelegte Invasion durchzuführen".
Ähnlich äußerte sich Samuel Charap, ein russischer Sicherheitsanalyst bei der US-amerikanischen RAND Corporation, am Donnerstagabend bei Twitter. Er schrieb, dass absolut keine Notwendigkeit bestehe, "das zu tun, was Moskau tut, es sei denn, sie schaffen die Option für etwas, das qualitativ größer ist als alles, was wir gesehen haben."
Russland und Belarus haben am Donnerstag gemeinsame Militärmanöver begonnen, die zehn Tage lang dauern soll. Bei der Übung solle etwa "die Abwehr äußerer Aggression" trainiert werden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Der Kreml versicherte, dass die russischen Soldaten das benachbarte Belarus nach dem Ende der umstrittenen gemeinsamen Militärübung wieder verlassen würden. "Wenn Sie es aufmerksam verfolgt haben, hat niemand jemals gesagt, dass russische Truppen auf dem Gebiet von Belarus bleiben", bekräftigte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut Agentur Interfax.
Russland bestreitet Einmarsch in Ukraine
Aus Moskau hieß es immer wieder, dass die Übung in Einklang mit internationalem Recht stehe und eine – deutlich niedrigere – festgeschriebene Höchstzahl an Soldaten nicht überschritten werde. Zudem betont der Kreml, dass die Truppenverlegung in die verbündete Ex-Sowjetrepublik Belarus reinen Übungscharakter habe. Im Westen wird allerdings befürchtet, dass Russland im Zuge des Manövers einen Einmarsch in die Ukraine vorbereitet.
Parallel zu dem Manöver in Belarus ließ Russland Kriegsschiffe im Schwarzen Meer üben. Das Außenministerium in Kiew protestierte gegen die Sperrung von großen Seegebieten um die von Russland annektierte Halbinsel Krim. Die Schifffahrt im Asowschen und im Schwarzen Meer würde praktisch unmöglich gemacht. Nach Medienberichten gelten die Sperrungen unter anderem unmittelbar bei der Meerenge von Kertsch vom 13. bis 19. Februar. Der Kreml wies Vorwürfe zurück, dass es eine Einschränkung für Handelsschiffe gebe.
Weitere Quellen: Nachrichtenagentur Reuters, "The Moscow Times". "The New York Times"