München verliert in Rom "Warum denken Sie, dass Sie der richtige Trainer für den FC Bayern sind?"

  • von Patrick Strasser
Bayern-Trainer Thomaas Tuchel: "Ich würde gerne übers Spiel sprechen."
Bayern-Trainer Thomaas Tuchel: "Ich würde gerne übers Spiel sprechen."
© Giuseppe Maffia / Imago Images
Im Champions League-Spiel gegen Lazio Rom kassieren die Bayern die nächste Niederlage. Für Trainer Thomas Tuchel wird die Luft dünner – auf die Frage nach seiner Zukunft reagiert er ausweichend. 

Statistiken, so erschreckend sie für einen Verein wie den FC Bayern München auch sind, können andererseits auch die Angeklagten entlasten. Zum ersten Mal seit 2015, so lautet eines der Daten, die nach dem 0:1 im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Lazio Rom rasch hervorgekramt wurde, verloren die Münchner zwei Spiele in Folge ohne eigenen Treffer. Und damals, im April/ Mai 2015 waren es sogar vier Pleiten ohne Tor. Unter Trainer Pep Guardiola – schau an, schau an!

Doch da sind andere Statistiken, die aus Sicht der Bayern einen ganz und gar negativen Schleier über die Partie in Rom legen. Zum ersten Mal seit elf Spielzeiten in der Königsklasse hat man das Hinspiel des Achtelfinals (2012 mit 0:1 beim FC Basel) verloren, gegen eine italienische Mannschaft gar erstmals seit 13 Jahren gepatzt (2011 mit 2:3 gegen Inter Mailand).

Dazu kommt noch die Erinnerung an die letzte 0:1-Pleite in einem Hinspiel der K.o.-Runde. Vor zwei Jahren war das, unter Trainer Julian Nagelsmann. Im April 2022 gelang die Wende gegen den FC Villarreal im Rückspiel nicht, durch das 1:1 war man raus. Das Aus gegen den spanischen Underdog trug Nagelsmann nicht nur als Makel, sondern Ursünde mit sich herum – bis zu seiner Entlassung im März 2023.

Bayern gegen Lazio Rom: ohne bahnbrechende Idee

Gegen Lazio Rom, den inkonstanten Tabellenachten der Serie A, ist für die Bayern ein Weiterkommen Pflicht – das Viertelfinale wird stets als Mindestziel ausgerufen. So weit war man in den letzten drei Jahren gekommen. Ein Aus bei Lazio, das sich in der Vorrunde als Gruppenzweiter vor Feyenoord Rotterdam und Celtic Glasgow (also Kategorie C der europäischen Klasse) für die K.o.-Runde qualifiziert hatte, kann und darf dem Serienmeister der Bundesliga in Anbetracht der eigenen Ansprüche nicht passieren.

Die Reaktion der Bayern vier Tage nach der 0:3-Demütigung bei Bayer Leverkusen ging also nach hinten los. Es wurde ein statisches, zähes Anrennen ohne bahnbrechende Idee. Viel Stückwerk gegen einen qualitativ, weil spielerisch limitierten Gegner. Nach einer okayen ersten Hälfte riss der Faden, die Bayern agierten mutlos, ideenlos. Mit einem Patzer, der zum spielentscheidenden negativen Höhepunkt aus Münchner Sicht wurde.

Denn bis zu jener verhängnisvollen 67. Minute hatte man nicht das Gefühl, dass der klare Favorit aus München diese Partie verlieren könnte. Die Bayern hatten die Kontrolle über Ball und Gegner, agierten gefällig, aber nicht zwingend. Dann kam dieser eine Moment, dieser eine Fehler von Dayot Upamecano, der teuer werden könnte. Der französische Innenverteidiger ging nach einem Konter der Römer im Strafraum mit offener Sohle gegen Gustav Isaksen hin, zu forsch. Upamecano trat den Dänen auf den Knöchel  Elfmeter und Rote Karte wegen rohen Spiels. Ciro Immobile, Lazios Mittelstürmer-Ikone, einst für eine Saison beim BVB unter Vertrag, verwandelte den Elfmeter – 0:1.

Bayern-Trainer Tuchel: "Haben den Faden verloren"

Auf der Bank verzweifelte Thomas Tuchel, mehrmals schüttelte der Bayern-Trainer den Kopf, schlug die Hände vors Gesicht, wirkte ratlos – nach außen ziemlich demonstrativ, verständlicherweise aber war er tatsächlich geschockt. Vor allem von der mangelhaften Offensivleistung seiner Mannschaft. Kein einziger Schuss aufs Tor, der Minutenzähler ratterte mittlerweile schon auf 180, inklusive der des lethargischen Auftritts in Leverkusen. "Es war eine gute erste Halbzeit", sagte Tuchel, der die Chancen von Joshua Kimmich, Leroy Sané und Jamal Musiala erwähnte. "Wir wollten mutiger spielen, haben der Mannschaft in der Pause Mut zugesprochen, dann aber den Faden verloren."

Der 50-Jährige machte einen "krassen Leistungsabfall in der zweiten Halbzeit“ aus, seine Elf habe "komplett den Rhythmus, die Durchschlagskraft und den Glauben verloren". Sein bitteres Fazit: "Wir haben das Spiel selbst verloren, das ist unsere Verantwortung." Aber auch die des Cheftrainers.

Vermeintlich gute Spiele, in denen irgendwann ein Filmriss, ausgelöst von individuellen Fehlern erfolgt – das sind die Bayern unter Tuchel, der nun knapp elf Monate im Amt ist und dessen Mannschaft bis auf ein Hoch im September und Oktober immer wieder krasse Aussetzer hat. Auch nach der Winterpause ist weder eine spielerische noch eine emotionale Weiterentwicklung zu erkennen. "Der Schlüssel ist noch nicht gefunden, das ist definitiv meine Verantwortung", gestand Tuchel. Dazu kommt: Erstmals in dieser Saison erfolgte auf eine Pleite wie in Leverkusen keine Reaktion. Es setzte die nächste Niederlage. Nicht alles lässt sich auf Tuchel reduzieren, die Probleme sitzen tiefer, doch er als Verantwortlicher auf der Bank. Wie lange noch?

"Warum denken Sie, dass Sie der richtige Trainer für den FC Bayern sind?"

Verständlich, dass Tuchel eine Frage auf der Pressekonferenz im "Stadio Olimpico" ganz und gar nicht gefiel. "Machen Sie sich nach dieser sehr schwachen Leistung Sorgen um Ihren Job als Bayern-Trainer?" Tuchel blickte starr auf den Fragesteller, schüttelte den Kopf und meinte kurz und knapp: "Nein!" Nachfrage des Reporters: "Warum denken Sie, dass Sie der richtige Trainer in diesem Moment für den FC Bayern sind? Was gibt Ihnen Grund zur Hoffnung?" Die Antwort nun: "Ich würde gerne übers Spiel sprechen."

Doch alle sprechen über ihn. Über den Mann, der vor nicht einmal elf Monaten als Heilsbringer gekommen war, weil die Münchner Bosse im März 2023 alle Saisonziele in Gefahr wähnten – wohlgemerkt in allen drei Wettbewerben: Im DFB-Pokal wie in der Champions-League hatte die Mannschaft unter Trainer Julian Nagelsmann das Viertelfinale bereits erreicht. Hat Tuchels Team diese Saison im Pokal nicht, In der Meisterschaft liegt man mit fünf Punkten Rückstand hinter Tabellenführer Leverkusen abgeschlagen auf Platz zwei und international droht der Abgang im Achtelfinale. Steht der 50-Jährige nun auch selbst vor dem Aus? 

Handeln die Verantwortlichen, Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen und Sportdirektor Christoph Freund, nun ähnlich schnell und risikobereit wie damals Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic? In Rom sagte ein angefasster Freund: über Tuchel: "Er kämpft natürlich mit der Situation, die für uns alle sehr schwierig ist. Unser Ziel ist, dass wir uns da gemeinsam rauskämpfen. Wir sitzen alle in einem Boot."

FC Bayern definiert sich über die Champions League

Dennoch bleibt die Frage, ob nur eine sofortige Trennung von Tuchel trotz dessen Vertrages bis 2025 Sinn machen würde. Erstens, um mit einem ganz anderen Schwung sowie inhaltlich anderen Ansatz ins Rückspiel gegen Lazio Rom zu gehen, um doch noch das Viertelfinale zu erreichen. Die Bosse müssen rasch analysieren, ob das Verhältnis zwischen dem immer ratloser wirkenden Tuchel und der gehemmten, verkrampften Mannschaft für einen Stimmungs- und Ergebnisumschwung noch intakt genug ist. Und über die Champions League definiert sich der FC Bayern. Hier erspielt man sich internationales Renommee und die Millionen an Zusatzeinnahmen, die in den Kader investiert werden, um Topstars wie Harry Kane verpflichten zu können.

Macht man jetzt keinen Cut, dann lautet die Entscheidung unausgesprochen: Augen zu und durch mit Tuchel bis Saisonende. Im Anschluss wäre eine einigermaßen friedliche Trennung für alle Beteiligten sinnvoll und verträglich, da die Situation zu verfahren ist. Damit wäre der Weg frei für einen Neuen und einen Neuanfang mit überarbeitetem Kader. Diesen zu planen wird die Aufgabe des designierten Sportvorstands Max Eberl, der spätestens zum 1. März seinen Job antritt. Sollte Eberl in ein paar Wochen mit einer seiner ersten Amtshandlung Tuchel entlassen müssen, würde er als "bad guy" auftreten. Ob sein Mentor Uli Hoeneß dieses Szenario haben möchte?

Tuchel klang mit Blick auf das Rückspiel und die nächste Aufgabe am Sonntag beim VfL Bochum wenig zuversichtlich, sprach leise: "Wir haben in drei Wochen noch das Rückspiel, aber auch in drei Tagen ein Ligaspiel. Wir müssen weitermachen." Womit er die Gelegenheit verpasste, kämpferisch und optimistisch aufzutreten, die Fans zu animieren und an die so zahlreichen "Wunder" der Bayern in Rückspielen zu erinnern. Dies tat Thomas Müller, der Vize-Kapitän, der nach den Partien stets emotional wie ein Fan spricht, manche meinen gar, die Dinge so treffend analysiert wie ein potenzieller Spielertrainer.

Bayern-Boss Dreesen hofft auf das Rückspiel gegen Lazio Rom

"Wir haben Probleme, das ist nicht wegzudiskutieren, sind verunsichert. Das war fast schon Slapstick, wie wir uns in der zweiten Halbzeit von einem Fehler in den nächsten gerettet haben", meinte Müller, bekam aber die Kurve zum Prinzip Hoffnung: "Am Ende ist das Ergebnis nach 25, 30 Minuten in Unterzahl bei dem Spielverlauf völlig okay. Wir lassen uns nicht runterziehen, werden uns nicht selbst zerfleischen, machen einfach weiter. Wir haben noch drei Wochen Zeit."

Auf dem Sponsorenbankett im luxuriösen Hotel Waldorf Astoria von Rom, gelegen in Monte Mario, sprach Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen nach Mitternacht: "Diese Mannschaft hat die Qualität und den Willen, weiterzukommen. Die Botschaft, diesen positiven Teil, müssen wir mitnehmen in das Rückspiel am 5. März in unserer Arena mit unseren 75.000 Fans im Rücken: Dass wir dieses Spiel souverän gewinnen und eine Runde weiterkommen!" Oder wie Müller noch sagte: "Der Ball muss wieder ins Netz."

Was übrigens beim Achtelfinal-Rückspiel 2012 gegen Basel sieben Mal geschah – beim 7:0. 

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