So viel Symbolik ist selten. Der FC Bayern verliert in Mainz mit 2:3, aber eben nicht irgendwie. Tragisch-komisch bis grotesk-chaotisch war der Auftritt der Münchner. Franck Ribéry schoss sich selbst an, rechts-links. Und weg war der Ball. Thomas Müller rutschte an der Seitenlinie aus. Die Kugel ging fremd. Holger Badstuber spielte einen Pass vor dem eigenen Strafraum zum Balljungen an der Bande der Seitenlinie. Kein Kollege weit und breit. Und da war dann noch Daniel van Buyten, der Abwehr-Riese. Ganz klein seine Leistung bei den Mainzer Gegentreffern, großartig agierte der Belgier nur als Stürmer. Köpfte das 1:1, drückte das 2:3 über die Linie - und hatte die große Chance zum Ausgleich kurz vor Schluss. Den leichtesten Ball, natürlich, machte van Buyten an diesem Abend nicht rein. Ziel verfehlt. Platz eins futsch. Das Selbstvertrauen abhanden gekommen.
Schlüsselbeinbruch als Schlüsselerlebnis
Das ach so unerschütterliche bayerische "Mia san mia" ist nicht nur verloren gegangen, es ist regelrecht zerbrochen. Im Champions-League-Spiel gegen den SSC Neapel. Am 2. November, um kurz vor 22 Uhr bekam Bastian Schweinsteiger einen Check von Napolis Inler ab. Der Mittelfeld-Chef, Herz und Motor der Mannschaft, musste auf der Trage in die Kabine, dann in die Klinik zur Operation gebracht werden. Ein Schlüsselbeinbruch als Schlüsselerlebnis für die gesamte Mannschaft. Schweinsteiger, so die Diagnose, wird bis zum Rückrundenstart Mitte Januar fehlen. Zu ersetzen ist er nicht. Es ist mehr zu Bruch gegangen als bloß Schweinsteigers Schlüsselbein - nämlich das gesamte Bayern-Aufbauspiel. Vor knapp vier Wochen konnte das geschockte Team gerade noch ein 3:2 gegen Neapel über die Ziellinie bringen. Ein Sieg als Anfang des Negativtrends. Okay, der setzte sich mit einem weiteren Erfolg fort. Doch das 2:1 bei Aufsteiger FC Augsburg wenige Tage später war ebenso glücklich und nur einer Glanztat von Torhüter Manuel Neuer zu verdanken
Sieg gegen Villareal war verhängsnisvoll
Es folgte die Länderspielpause. Die Bayern-Profis brillierten unter Joachim Löw, doch bei ihrer Rückkehr nach München wurden sie von den Dortmundern kaltgestellt. Mit so viel Adrenalin und Verbalgetöse waren sie ins Meisterschaftsrevanche-Spiel gegangen. Das 0:1 bedeutete den dritten BVB-Sieg gegen die Bayern in Folge. Willkommen zurück in der Realität.
Verhängnisvoll für die Pleite am Sonntag nun in Mainz war die Partie vergangenen Dienstag gegen die punkt- wie harmlosen Spanier aus Villarreal. Ihr passiver, teils lustloser, Auftritt ließ die Bayern auftrumpfen - 3:1. Nach fünf Gruppenspielen war man in der Hammermördertodes-Gruppe mit Villarreal, Neapel und Manchester City uneinholbar auf Rang eins. Ein tadelloses Spiel. Die Reaktionen der Bosse waren eindeutig: Hammerleistung! Mörderleistung! Todescoole Truppe! Es wurde über die Gegner im Königsklassen-Achtelfinale des Frühjahres 2012 geredet, ach was: über den möglichen Finalgegner zu Hause in der Allianz Arena am 19. Mai 2012. Der FC Barcelona? Real Madrid? Man sah sich näher herangerückt, beinahe auf Augenhöhe.
Frühform birgt Gefahren
Derart gewachsen, müssen ihnen die Mainzer aus dem Blickfeld gerutscht sein. Was Trainer Jupp Heynckes, sichtlich geschwächt durch eine Grippe samt Bronchitis, nicht sagen konnte, sprach Ex-Bayern-Coach Ottmar Hitzfeld deutlich aus: "Wenn eine Mannschaft immer gelobt wird - und es sah ja auch alles perfekt aus, das Positionsspiel war phantastisch -, dann ist das sehr gefährlich. Diese Frühform birgt eben auch Gefahren." Zu früh gezaubert? Zu früh gefreut?
Sportdirektor Christian Nerlinger erkannte nach dem 2:3 in Mainz bei seinen Bayern einen "negativen Trend in der Liga. Wir haben drei der letzten fünf Spiele verloren. Tatsache ist, dass sich das in der Tabelle niederschlägt." Man ist auf Platz drei abgestürzt, hinter der Borussia I, dem Dortmunder Titelverteidiger, und hinter der Borussia II, den Gladbacher Überraschungskickern. Eine Null-Punkte-Woche mit zwei Pleiten, und schon sind die Bayern aus allen Wolken gefallen. Und als Verfolger lässt man mehr Kräfte denn als Gejagter. Die Karten sind wieder neu gemischt. "Dortmund hatte bereits seinen Tiefpunkt. Wir haben nun unsere schwierige Phase", sagte Nerlinger. Doch wie lange? Nächsten Samstag geht es gegen Werder Bremen, da droht sogar Rang vier.
Punktsieg nur in Sachen Ehrlichkeit
Es ist die Mischung aus dem Fehlen Schweinsteigers, der vom brav-soliden David Alaba sowie den stark in ihrer Leistung schwankenden Luiz Gustavo und Anatoliy Tymoshchuk nicht ersetzt werden kann, den Träumereien von Ruhm und Ehre in Europa sowie eine gewisse Überspieltheit. Zu wenig gierig waren sie, zu wenig konsequent. Die Leichtigkeit ist weg, die Verspieltheit bei gleichzeitiger Ordnung und kompakter Defensive. Daher waren die Bayern am Ende ohne Chance gegen die Mainzer, die den Sieg einfach mehr wollten. Andreas Ivanschitz (11.), Marco Caligiuri (65.) und Niko Bungert (74.) trafen mit mutiger Zielstrebigkeit.
Wenigstens in Sachen Ehrlichkeit punkteten die Münchner. Mario Gomez meinte derb: "Wir haben heute auf die Fresse bekommen." Kapitän Philipp Lahm anklagend: "Wenn man nur teilweise Fußball spielt, dann verliert man halt." Und Thomas Müller schlussfolgerte: "Wenn man die Tabellenführung hergibt, dann ist das mit Sicherheit ein Tiefpunkt."
Warten auf Schweinsteiger
Die Spätherbst-Krise kommt in München ja so sicher wie das Oktoberfest Ende September. Doch das 2:3 in Mainz war schon die vierte Niederlage der Saison, der BVB ist letztes Jahr mit lediglich fünf Pleiten Meister geworden: Zum Vergleich: die Bayern hatte es trotz des kurios-chaotischen Jahres unter Louis van Gaal sieben Mal erwischt, nur drei Niederlagen mehr als nun schon nach 14 Spieltagen. Und: Vor genau einem Jahr stand der Zähler bei nur drei Pleiten.
"Wir müssen uns anders präsentieren", forderte Nerlinger energisch, "die Mannschaft wird bis zum Winter ein Zeichen setzen." Vielleicht kann Schweinsteiger dabei ja doch noch eingreifen. Erste Laufeinheiten hat er bereits absolviert.