Mit provozierenden Triumphgesten baut sich Pierre-Michel Lasogga vor der Fürther Bank auf. Die Spieler des geschlagenen Zweitligisten müssen zurückgehalten werden, um nicht auf den Hamburger Stürmer loszugehen. Gerade hat Schiedsrichter Knut Kircher das Relegations-Rückspiel 2014 abgepfiffen: Mit einem 1:1 bei Greuther Fürth sichert sich der HSV nach einer desolaten Spielzeit doch noch den Klassenerhalt. Dagegen fühlen sich die Franken am Ende einer formidablen Saison trotzdem wie ein Verlierer. Für sie waren es genau zwei Spiele zu viel.
Sind wir Fans wirklich schon so abgestumpft?
Selten wurde die sportliche Fragwürdigkeit der Veranstaltung so schonungslos offengelegt wie im letzten Jahr. Es verwundert nur, warum die Fußball-Fans in Deutschland nicht längst auf die Barrikaden gehen ob dieser überflüssigen Frechheit namens Relegation. Sind wir in Zeiten, da Weltmeisterschaften in die Wüste vergeben werden, wirklich schon so abgestumpft?
Wenn die Münchener Bayern mal wieder gefragt werden, ob sie sich über die Schale überhaupt noch freuen können, heißt es stets gebetsmühlenartig: "Die Meisterschaft ist der ehrlichste Titel." Sie spiegele schließlich die Arbeit einer ganzen Saison wider. Klingt logisch. Warum aber trifft diese Erkenntnis dann nicht auch auf das Ende der Tabelle zu? Warum gehört ein Verein nicht mehr automatisch strafversetzt, wenn er es nach 34 Spieltagen nicht wenigstens unter die "besten" 15 Mannschaften geschafft hat? Warum diese Nothilfe für Erstligisten? Und warum ist ein dritter Platz in der selbst ernannten "besten zweiten Liga der Welt" nicht ehrlich genug, um direkt in die Bundesliga aufzusteigen?
"Ein Konjunkturprogramm für Erstligisten"
Die Relegation ist ursprünglich ein Relikt aus grauer Bundesliga-Vorzeit, als die Laufbahnen noch breit, die Nackenspoiler lang und die Schnurrbärte mächtig waren: Von 1982 bis 1991 dauerte die erste Ära der Entscheidungsspiele. Erst 18 Jahre später führte die DFL sie ohne Not wieder ein. Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder nannte die Relegation im Sport1-"Doppelpass" ein "Konjunkturprogramm für Erstligisten". Ein Blick auf die letzten Jahre stützt seine launige These.
Der bereits erwähnte HSV war wohl das krasseste Beispiel, aber auch Borussia Mönchengladbach würde ohne die Relegation heute von der Champions League höchstens träumen. Hätte Igor de Camargo 2011 nicht in der dritten Minute der Nachspielzeit zum 1:0 getroffen, wäre wahrscheinlich der gegnerische VfL Bochum aufgestiegen. Stattdessen rettete sich die Borussia über die Runden und begann ihren märchenhaften Aufstieg, den sie in der nächsten Saison sogar in der Königsklasse fortsetzen wird. Und die Bochumer? Kamen der ersten Liga seither nie mehr so nahe, schwebten in den folgenden Zweitligaspielzeiten immer wieder in Abstiegsgefahr und beendeten die abgelaufene Spielzeit auf Rang 11.
Vielleicht ist es naiv, sich in Zeiten der extremen Eventisierung des Profifußballs über eine wiederbelebte Institution von vorgestern aufzuregen. Außerdem machen die Ereignisse rund um die Relegation manchmal richtig was her: 2012 zum Beispiel, als der friedliche Platzsturm der Fans von Fortuna Düsseldorf zu einem lebensgefährlichen Skandal aufgebauscht wurde - wochenlang waren die Duelle mit Hertha BSC Berlin danach das große Medienthema. Aber: Fans und Verantwortliche der betroffenen Vereine hätten nur zu gerne auf diesen existenziellen Nervenkrieg verzichtet.
Nur zweimal setzte sich der Zweitligist durch
Der anschließende Aufstieg der Düsseldorfer bedeutete einen der zwei Fälle, in denen der Zweitligist die Oberhand behielt - seit der Wiedereinführung der Entscheidungsspiele 2009 gelang dies nur noch ein weiteres Mal, als sich der 1. FC Nürnberg 2009 gegen Energie Cottbus durchsetzen konnte, viermal hielt bislang der Bundesligist die Klasse. Vielleicht bessert der KSC diese Bilanz gegen den HSV auf, selbstbewusst genug scheinen die Spieler zu sein. Und verdient hätten sie es nach ihrer großartigen Saison sowieso. Auch ohne den Umweg über die Relegation. Dieses wettbewerbsverzerrende Spektakel am Ende einer langen Saison sollte die DFL am besten ganz schnell wieder abschaffen.