Desolate Auftritte Der rätselhafte BVB – wie die Dortmunder in wenigen Tagen fast alle Titelchancen verspielen

Jude Bellingham zeigt es an: der Trend des BVB geht derzeit steil abwärts.
Jude Bellingham zeigt es an: der Trend des BVB geht derzeit steil abwärts.
© Ronny Hartmann / AFP
Borussia Dortmund galt als die Mannschaft der Stunde im Jahr 2023, mehrere Titel schienen greifbar. In den letzten fünf Spielen gab es nur einen Sieg – vor allem das Auftreten der Mannschaft gibt Anlass zur Sorge. 

Als sich das DFB-Pokal-Viertelfinale zwischen RB Leipzig und Borussia Dortmund dem Ende neigte, musste der Frust raus: Jude Bellingham beschwerte sich beim Schiedsrichter und sah gelb, Donyell Malen beschwerte sich beim Schiedsrichter und sah gelb, Mats Hummels legte sich mit der Leipziger Bank an – und sah gelb. Ähnlich dynamisch, wie sich das Dortmunder Mundwerk in den letzten Minuten bei der 0:2-Niederlage in Leipzig zeigte, hätten sich die Dortmunder Anhänger auch die Leistung ihrer Mannschaft auf dem Platz erhofft – doch sie wurden bitter enttäuscht. Mal wieder. Es bleibt die Erkenntnis: dem BVB fehlt die Reife für Titel.

Dabei war Anfang März in der schwarz-gelben Welt noch alles rosarot. Der BVB feierte einen glücklichen Heimsieg gegen Leipzig, setzte damit die Bayern an der Tabellenspitze weiter unter Druck. Doch schon wenige Tage später bekam diese Welt erste Risse. Nach dem 1:0-Erfolg im Hinspiel schieden die Westfalen nach einem recht glanzlosen Auftritt im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinals beim FC Chelsea aus, die (unrealistische) Chance auf den Titel war dahin. Einem weiteren ernüchternden Auftritt gegen Schalke folge aber plötzlich das famose 6:1 gegen den 1. FC Köln, bei dem der BVB die kriselnden Kölner phasenweise an die Wand spielte und die Tabellenführung in der Bundesliga eroberte. Die Freude auf eine mögliche Meisterschaft und ein Ende der seit zehn Jahren andauernden Bayern-Dominanz ist nach der Länderspielpause jedoch der Ernüchterung gewichen und der Erkenntnis, dass diese Mannschaft alles andere als reif für einen Titel ist. 

Einfallslos und behäbig – der BVB ist in einer sportlichen Krise

Dass man die Spiele in München und Leipzig verlor, ist aus Dortmunder Sicht ärgerlich, kann aber passieren – besorgniserregend aber ist die Art und Weise, wie der BVB in beiden Partien in Liga und DFB-Pokal auftrat. Nach anfänglich gutem Start brach der BVB nach dem ersten Gegentor in München komplett ein und wurde von den Bayern gnadenlos überrannt. Dass es zur Pause nicht deutlicher als 0:3 stand lag mehr am Chancenwucher der Gastgeber denn am BVB. Dass es am Ende nur 2:4 stand hing auch eher mit dem Schongang der Bayern zusammen, denn einem Aufbäumen der Dortmunder, die sich über die komplette Spielzeit kaum nennenswerte Chancen erspielten. Wer aber dachte, dass die Niederlage in München sich einfach nur seit Jahren anhaltende Debakel-Serie in der Allianz-Arena einreiht und im nächsten Spiel wieder der alte BVB zu sehen ist, wurde bitter enttäuscht. 

Denn waren die ersten zehn Minuten in München noch akzeptabel, wurde der BVB in Leipzig von Anpfiff weg gnadenlos überrannt. Die einzig positive Erkenntnis der ersten Halbzeit bleibt, dass Gregor Kobel wieder zu Bestform auflief und durch seine Paraden die Partie aus Leipziger Sicht unnötig lange offen hielt. Die anderen zehn Dortmunder auf dem Platz präsentierten sich jedoch mehr oder weniger als Slalomstangen, eine deutlich höhere Leipziger Pausenführung wäre durchaus verdient gewesen. Katastrophal erwies sich vor allem das Dortmunder Aufbauspiel, in dem sich der BVB behäbig präsentierte, immer wieder in das Leipziger Pressing lief und einfache Ballverluste in Kauf nehmen musste. Im Gegenzug zeigte das Team von Edin Terzic aber auch kein Aufbäumen. Die Zweikampfquote von 37 Prozent ist eines Spitzenteams nicht würdig, nur 38 Prozent der Dribblings waren erfolgreich (Leipzig: 71 Prozent). "Wenn man im Passspiel sich nicht den Ball zuspielt, sondern einfach Bomben verteilt und den Mitspieler alleine lässt. Daraus müssen wir einfach lernen, dass man nicht vier Ballkontakte braucht, um eine Entscheidung zu treffen", schimpfte Terzic nach dem Abpfiff. 

Mit dem kurzfristigen Ausfall von Stürmer Sébastien Haller offenbarte der BVB zudem eine weitere Schwäche, die bereits in der Hinrunde ohne den krebserkrankten Haller zu sehen war. Dortmund fehlte in der Spitze der Zielspieler, der als Anspielstation Bälle festmachen und verteilen kann. Sowohl Donyell Malen als auch der eingewechselte Youssofa Moukoko konnten sich auch mangels Zuspiele kaum in Szene setzen. Die zuletzt so hochgelobte Kreativabteilung um Julian Brandt und Raphael Guerreiro setzte wie zuletzt in München erneut keinerlei kreative Impulse. So agierte das Dortmunder Mittelfeld nahezu plan- und regungslos. Dass Kapitän Marco Reus aufgestellt wurde, dürfte den meisten Zuschauern erst aufgefallen sein, als er in der 76. Minute ausgewechselt wurde. Symptomatisch für das Dortmunder Spiel, dass Jamie Bynoe-Gittens in der sechsten Minute der Nachspielzeit die einzige nennenswerte Dortmunder Chance hatte – ein Treffer, hätte den Spielverlauf komplett auf den Kopf gestellt. 

Terzic kritisiert alle Spieler – bis auf einen

"Wir fahren mit einer Portion Wut nach Hause", hatte Edin Terzic noch nach der Niederlage in München angekündigt. Nach der erneuten offensiven wie defensiven Offenbarung in einem Spitzenspiel aber entschied sich 40-Jährige am Dienstagabend für einen Rundumschlag. "Wir haben uns in der Offensive gewundert, dass es Zweikämpfe gibt, wenn wir an den Ball kommen. In der Defensive haben wir viel zu große Abstände gehabt", schimpfte Terzic am späten Mittwochabend. Es sei nicht so, dass dies nur ein Spieler betroffen habe, sondern alle "außer Gregor (Kobel, Anm. d. Red.), den müssen wir da rausnehmen".

Doch auch bei Terzic und Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl dürfte nach den Auftritten in Spitzenspielen in den vergangenen Wochen aufgefallen sein, dass das Dortmunder Spiel schnell an seine Grenzen gelangt. "Man muss festhalten, dass wir in London, in München und jetzt hier in Leipzig nicht die Leistung gezeigt haben, um ganz nach vorn zu kommen", sagte Kehl nach der Niederlage in Leipzig.

Zwei mögliche Titel hat der BVB bereits verspielt, um die Meisterschaft zu gewinnen, müssen die Dortmunder auf weitere Ausrutscher der nicht so sattelfesten Bayern hoffen. Doch das M-Wort will man beim selbsternannten Meisterkandidaten nach zwei desolaten Auftritten binnen vier Tagen gar nicht mehr in den Mund nehmen. "Es wäre vermessen, darüber zu sprechen. Wir müssen das erst einmal von der Leistung her geraderücken", erklärte ein sichtlich frustrierter Terzic. Die Chance dafür hat der BVB am Samstag – im Spitzenspiel gegen Union Berlin. Es ist die wahrscheinlich letzte um zu beweisen, dass man doch um einen Titel mitspielen kann oder zumindest den Kampf darum annimmt.

mit dpa

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