Werder gegen HSV Ruhe siegt über Chaos

Beim 100. Derby zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV sind nicht nur zwei Abstiegskandidaten aufeinander getroffen. Es sind zwei Vereinskulturen - die eine mehr, die andere weniger erfolgreich.

Nach Abpfiff konnte die Stimmungslage bei Werder Bremen und dem Hamburger SV kaum unterschiedlicher sein. "Das war ein toller Fight", sagte Werder-Coach Robin Dutt. Der 25. Heimsieg im 100. hanseatischen Nachbarschafts-Duell der Fußball-Bundesliga war für Werder nicht nur wegen des Prestiges etwas ganz Besonderes.

Werder präsentierte dabei eine seiner besten Leistungen in der bislang eher enttäuschenden Saison, während die Gäste trotz mehr Ballbesitz nicht an die Leistung vom Sieg gegen Dortmund anknüpfen konnten. "Wir sind alle sehr enttäuscht", sagte HSV-Trainer Mirko Slomka. "Die Situation ist und bleibt schwierig", sagte Marcell Jansen. Der Kapitän klagte: "Wir haben es uns selber schwer gemacht. Es ist uns nicht gelungen, richtig klare Torchancen herauszuspielen."

Die traditionelle Rivalität zwischen Werder Bremen und dem Hamburger Sportverein rührt nicht aus den großen Duellen der Vergangenheit oder daher, dass die Stadien gerade einmal 114 Kilometer trennen. Mit den Clubs treffen ganz unterschiedliche Vereinskulturen aufeinander.

Fast schon zuviel Ruhe

Vor allem Werder wurde von den Experten vor der Saison als Abstiegskandidat eingeschätzt. Nicht ganz zu unrecht, wie der Saisonverlauf zeigt. Beim HSV wurde vor der Saison wie meist vom Ziel "internationaler Wettbewerb" gesprochen. Völlig zu unrecht, wie der Saisonverlauf zeigt.

Die Unterschiede zwischen den Vereinen könnten kaum größer sein. Während der HSV schon seit Jahren Chaos und Hektik herrscht, pflegt man bei Werder eine Politik der sehr ruhigen Hand. Fast schon zu ruhig. Letzte Saison hat Werder trotz schwacher Ergebnisse an Trainer Thomas Schaaf festgehalten. Erst kurz vor Saisonende sicherte er den Bremern den Klassenerhalt. Dann musste Schaaf nach 14 Jahren den Trainerstuhl bei Bremen räumen. Der HSV hat mit Thorsten Fink, Bert van Marwijk und nun Mirko Slomka allein in dieser Saison schon drei Trainer an der Seitenlinie gesehen. Schaut man bei Werder Bremen drei Trainer zurück, landet man bei Felix Magath, der dort in der Saison 1998/99 ein siebenmonatiges Intermezzo gab.

Das Nordderby war erst das zweite Spiel unter Slomka, der mit einem überraschenden HSV-Heimsieg über Borussia Dortmund einen traumhaften Einstand feierte. Doch mit der Niederlage im Nordderby ist Slomkas Bilanz schon wieder ausgeglichen. Bei Werder versucht seit Saisonbeginn Robin Dutt sein Glück. Seine bisherige Bundesliga-Bilanz lautet seit heute: sechs Siege, sieben Unentschieden und neun Niederlagen. In Bremen sagt Sportchef Thomas Eichin: "Es gibt keine Trainer-Diskussion." Beim HSV wäre ein Trainer mit Dutts Bilanz wohl schon entlassen worden.

Permanente Unruhe in Hamburg

Das liegt auch daran, dass irgendwer beim HSV die Boulevardmedien gern mit Interna füttert. Jede Indiskretion, die bei einem Fußballverein überhaupt denkbar ist, findet beim HSV tatsächlich statt. So herrscht permanent Unruhe beim Verein. Hinzu kommt: Der Milliarden schwere Logistik-Unternehmer Michael Kühne bekleidet zwar kein Amt im Verein, darf aber als reicher Fan dem HSV erst die Rückkehr von Rafael van der Vaart lautstark empfehlen - und sie dann mit seinem Geld ermöglichen. Auch Ex-Spieler des HSV melden sich gerne via Medien mit Ratschlägen zu Wort.

Im beschaulichen Bremen ist die "Syker Kreiszeitung" federführend bei der Berichterstattung über Werder. Indiskretionen, Skandale und Fans, die sich in die Geschicke der Vereinsführung einmischen, sucht man hier vergebens.

In Hamburg sagte Mirko Slomka bei seiner Vorstellung als HSV-Trainer, dass der Verein eigentlich "unter die Top 5 gehöre." Das hören besonders die HSV-Fans gerne, die ihren Club noch immer für "unabsteigbar" halten, eben weil der Verein noch nie abgestiegen ist. Schon nach einer schwachen ersten Halbzeit sind in der Imtech-Arena öfter mal Pfiffe zu hören. Dabei liegen die großen Zeiten des Vereins schon länger zurück: 1987 wurde der Verein Pokalsieger, die letzte Meisterschaft datiert von 1983. Okay, 2003 gewannen sie den Ligapokal. Aber was genau war das noch einmal?

Big Point für Bremen

Werder Bremen konnte vor genau zehn Jahren die letzte Meisterschaft feiern, zuletzt gewann der Verein 2009 den DFB-Pokal. Ganz taufrisch sind die Bremer Erfolge also auch nicht mehr. Aber die Werder-Fans haben eine realistischere Erwartungshaltung an ihren Verein. Sie wissen, dass die Bäume momentan nicht in den Himmel wachsen. Pfiffe sind im Weserstadion noch immer die Ausnahme. Der heutige Derbysieg war nicht nur wichtig, weil es gegen den HSV ging, sondern auch wegen des Abstiegskampfes. Sechs Punkte haben die Bremer nun Abstand auf den Relegationsplatz, wo sich der HSV wiederfindet.

Die Bremer Kontinuität scheint aktuell im Abstiegskampf die erfolgreichere Taktik gegenüber dem Aktionismus des HSV zu sein. Aber vielleicht bringt ja Mirko Slomka in Hamburg den Erfolg zurück, wenn der Verein endlich einmal Ruhe bewahrt.

mit DPA

PRODUKTE & TIPPS